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Anfechtungsprivileg durch Stundung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 COVInsAG (Klinck, ZIP 2021, 541)

Der Gesetzgeber des COVInsAG hat an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht anfechtungsrechtliche Privilegierungen geknüpft, um in der Krise befindlichen Schuldnern die Fortführung ihres Unternehmens zu erleichtern. Jüngst hat er diesen Privilegien ein weiteres hinzugefügt, das solche wirtschaftlichen Lenkungswirkungen nicht entfalten kann, weil es fast ausschließlich in der Vergangenheit wirkt. Als rückwirkende Belohnung kommt es praktisch nicht zuletzt der öffentlichen Hand zugute. In der Anwendung ist es mindestens genauso problematisch wie die übrigen anfechtungsrechtlichen Privilegierungstatbestände des § 2 Abs. 1 COVInsAG.

I.  Einleitung
II.  Hintergrund: Erhöhtes Anfechtungsrisiko „gerade wegen der Zahlungserleichterung“?
III.  Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5

1.  Aussetzung der Antragspflicht
2.  Stundung
2.1  Pactum de non petendo; „Stehenlassen“
2.2  Dauer der Stundung
3.  Rechtsgrund der Forderung
4.  Gegenstand der Forderung: „Zahlung“
5.  Im Insolvenzeröffnungsverfahren vereinbarte Stundungen
IV.  Verhältnis zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1
V.  Rückwirkung

1.  Echte Rückwirkung in Bezug auf Ansprüche nach dem AnfG
2.  Unechte Rückwirkung im Übrigen
VI.  Fazit


I.  Einleitung

Nach eiligem Gesetzgebungsverfahren ist jüngst eine dritte Änderung des „Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz“ (COVInsAG) in Kraft getreten.) Darin wurde nicht nur die (eingeschränkte) Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 3) bis zum 30.4.2021 verlängert, sondern in § 2 Abs. 1 mit der neuen Nr. 5 eine weitere anfechtungsrechtliche Privilegierung eingeführt: „Soweit nach § 1 Absatz 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, … gelten die bis zum 31.3.2022 erfolgten Zahlungen auf Forderungen aufgrund von bis zum 28.2.2021 gewährten Stundungen als nicht gläubigerbenachteiligend, sofern über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren bis zum Ablauf des 18.2.2021 noch nicht eröffnet worden ist“. Die Neuregelung wirft eine Reihe von Fragen auf und ist verfassungsrechtlich bedenklich.

II.  Hintergrund: Erhöhtes Anfechtungsrisiko „gerade wegen der Zahlungserleichterung“?
In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es: „Das Ziel der Neuregelung besteht darin, Gläubiger, die einem infolge der COVID-19-Pandemie in wirtschaftliche Not geratenen Schuldner durch eine Stundung entgegengekommen sind und damit einen Beitrag dazu geleistet haben, die aufgrund der staatlichen Hilfsprogramme bestehenden Sanierungsaussichten nicht zu vereiteln, nicht gerade wegen der Zahlungserleichterung einem erhöhten Anfechtungsrisiko auszusetzen“.) Die Gesetzesverfasser gehen also davon aus, dass Rückzahlungen leichter anfechtbar seien, wenn der Gläubiger dem Schuldner zuvor Zahlungserleichterungen gewährt hatte. Diese These hat den Gesetzgeber schon zuvor zu Eingriffen in das Anfechtungsrecht verleitet.) Sie trifft so nicht zu. Ihr Anknüpfungspunkt ist die Rechtsprechung des BGH, wonach allerdings nicht die Gewährung einer Zahlungserleichterung selbst,) sondern vielmehr die – eventuell mit der Bitte um Zahlungserleichterung verbundene – Erklärung des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen zu können, den Schluss erlaubt, der Schuldner habe seine Zahlungen eingestellt.) Damit wird nach § 17 Abs 2 InsO vermutet, dass der Schuldner zahlungsunfähig war, und hieraus wiederum kann der mit einem Anfechtungsprozess befasste Tatrichter mit Blick auf § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO unter Umständen seine Überzeugung stützen, der Schuldner habe bei einer späteren Zahlung mit dem jedenfalls bedingten Vorsatz gehandelt, seine anderen Gläubiger zu benachteiligen.) Auch die Neuregelung des § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO ändert an dieser Vermutungskaskade wenig: Sie schließt nur aus, dass der Insolvenzverwalter den ihm obliegenden Nachweis des Benachteiligungsvorsatzes des Schuldners und einer entsprechenden Kenntnis des Anfechtungsgegners auf die Gewährung der Zahlungserleichterung oder auf die darauf gerichtete Bitte des Schuldners stützt; auf darüber hinausgehende Umstände kann er ihn weiterhin stützen.) Zu solchen Umständen zählt etwa die Tatsache, dass der Schuldner fällige Verbindlichkeiten in erheblichem Umfang nicht erfüllen konnte.) Die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dieser Tatsache wird man weiterhin auch daraus schließen dürfen (und müssen), dass der Schuldner selbst sie ihm mitgeteilt hat – auch dann, wenn er damit eine Bitte um Gewährung von Zahlungserleichterungen verbunden hat. Will der Gesetzgeber die Zahlungen auf gestundete Forderungen schlechthin anfechtungsrechtlich privilegieren, müsste er entweder die im Vergleich zu § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO noch absurdere Vermutung aufstellen, dass der Schuldner zahlungsfähig ist, wenn er seinem Gläubiger das Gegenteil mitteilt, oder er muss in Umkehrung der Wertungen, die dem Bargeschäftsprivileg nach § 142 InsO zugrunde liegen, einen eigenständigen Privilegierungstatbestand schaffen.

Diesen zweiten Weg hat der Gesetzgeber mit dem COVInsAG beschritten, und zwar nicht erst mit § 2 Abs. 1 Nr. 5, sondern schon zuvor mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 und auch mit der nun gestrichenen lit. e) des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2. Durch letztere wurde die Gewährung von Zahlungserleichterungen kongruenten Deckungen gleichgestellt, die nach Satz 1 nicht anfechtbar sind, wenn sie im Aussetzungszeitraum gewährt wurden. Diese Gleichstellung blieb rätselhaft, denn die Gewährung von Zahlungserleichterungen (!) zugunsten des Schuldners (!) stellt weder selbst eine potenziell anfechtbare Deckungshandlung dar, noch führt sie dazu, dass später gewährte Deckungen inkongruent sind. Diese Privilegierung war daher funktionslos;) nur vereinzelt wurde die – mit Wortlaut und innerer Systematik der Norm nicht zu vereinbarende – „Auslegung“ vertreten, § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 lit. e) a. F. stelle über den Aussetzungszeitraum hinaus Zahlungen anfechtungsfrei, wenn im Aussetzungszeitraum in Bezug auf die Forderung eine Zahlungserleichterung gewährt wurde.) § 2 Abs. 1 Nr. 5, der diese Regelung ersetzen soll,) ist jedenfalls insoweit klarer, als Zahlungen auf gestundete Forderungen der Anfechtbarkeit entzogen werden, und zwar durch die Fiktion), dass sie die Gläubiger nicht benachteiligten, sowohl der Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff. InsO als auch derjenigen nach dem AnfG.

III.  Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5

1.  Aussetzung der Antragspflicht

Wegen des allen Nummern vorangestellten Einleitungshalbsatzes des § 2 Abs. 1 gilt auch Nr. 5 nur, „soweit nach § 1 Absatz 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist“. § 2 Abs. 4 und 5 erweitern den Anwendungsbereich des Abs. 1 auf den Fall, dass die Antragspflicht nach § 1 Abs. 2 bzw. 3 ausgesetzt ist. Lässt man zunächst § 2 Abs. 2 außer Betracht, ist das Privileg nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 nur anwendbar, wenn auch die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Antragspflicht vorlagen. Die Beweislast ist insoweit im Anfechtungsprozess nicht anders verteilt als in einem Haftungsprozess gegen die Geschäftsleitung, die sich auf § 1 beruft.) Der „gute Glaube“ des Anfechtungsgegners an eine Aussetzung der Antragspflicht wird nicht geschützt.)

Fraglich ist allerdings, in welchem Zeitpunkt die Antragspflicht ausgesetzt gewesen sein muss. Der zeitliche Bezug zur Aussetzung der Antragspflicht ist in § 2 Abs. 1 Nr. 2 eindeutig geregelt; für Nr. 4 ist auf die Vornahme der Deckungshandlung abzustellen.) Für Nr. 5 aber kann es nicht darauf ankommen, dass ...

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.03.2021 11:59
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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