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Aktuell in der ZIP

Schadensersatz vs. Betriebsrente (Diller/Arnold/Pfeifer, ZIP 2021, 718)

Dass die Tätigkeit von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern im Streit endet und Schadensersatzansprüche im Raum stehen, ist heutzutage keine Seltenheit mehr. Häufig will die Gesellschaft ausschließlich oder jedenfalls primär die bestehende D&O-Versicherung in Anspruch nehmen, aber gegenüber dem betroffenen Organmitglied Schadensersatzansprüche nicht bis zur Pfändung des Privatvermögens durchsetzen, zumal die im Raum stehenden Schadenssummen das Privatvermögen häufig weit übersteigen würden. Hat das Organmitglied allerdings erhebliche Pensionsansprüche, wird oft alles Erdenkliche unternommen, um nicht zusätzlich zu dem erlittenen Schaden auch noch Pension zahlen zu müssen. Allerdings lauern hier zahllose Fallstricke, die in der Praxis oft übersehen werden, und zwar sowohl bei Abschluss von Aufhebungs- oder Verzichtsvereinbarungen als auch bei einseitigem Vorgehen der Gesellschaft.

I.  Aufhebungs- oder Verzichtsvereinbarung
1.  Verzichtbarkeit von Betriebsrentenansprüchen
2.  Ausdrückliche Regelung
3.  Verbindung von Pensionsverzicht und „Restschuldbefreiung“
4.  Teilverzicht
5.  Vergleichsreue
5.1  § 779 BGB
5.2  Vorsorglich: Schuldanerkenntnis?
II.  Widerruf/einseitige Herabsetzung von Versorgungszusagen
1.  Widerruf
2.  Herabsetzung der Betriebsrente gem. § 87 Abs. 2 AktG (analog)
III.  Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen
1.  Zulässigkeit der Aufrechnung?
2.  Aufrechnung gegen das Rentenstammrecht?
3.  Aufrechnung gegen laufende Versorgungsbezüge
4.  Verjährungsproblematik
4.1  Verjährung des Schadensersatzanspruchs
4.2  Wiederholte Aufrechnung
4.3  Lösungsmöglichkeiten
4.4  Problem des Kapitalwahlrechts
5.  Pfändungsgrenzen
6.  Mittelbare Versorgungszusagen
7.  Verpfändete Rückdeckungsversicherung
8.  Hinterbliebenenversorgung
9.  Unterlaufen der Aufrechnung durch Abtretung
IV.  Pfändung des Anspruchs auf Betriebsrente gem. § 832 ZPO
1.  Notwendigkeit eines Vollstreckungstitels
1.1  Kooperation des Organmitglieds
1.2  Keine Kooperation des Organmitglieds
2.  Zulässigkeit der Pfändung des Anspruchs auf Betriebsrente
3.  Pfändungsobjekt
V.  Zusammenfassung


I. Aufhebungs- oder Verzichtsvereinbarung

1. Verzichtbarkeit von Betriebsrentenansprüchen

Ist das potentiell schadensersatzpflichtige Organmitglied kooperativ, kommt ein Verzicht auf die Betriebsrentenansprüche in Betracht, meist – soweit gesellschaftsrechtlich möglich (dazu sogleich) – erklärt Zug-um-Zug gegen Verzicht auf die Schadensersatzansprüche. Das kann im Rahmen eines Aufhebungsvertrags vereinbart werden, bei Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses aber auch in einem gesonderten Verzichtsvertrag.
Einem Verzicht steht das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG nicht entgegen. Gemäß § 3 BetrAVG dürfen zwar unverfallbare Versorgungsanwartschaften bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur unter strengen Grenzen abgefunden werden, und nach einhelliger Auffassung enthält § 3 BetrAVG nicht nur ein Abfindungsverbot, sondern auch ein Verzichtsverbot. Das Betriebsrentengesetz gilt jedoch für Organmitglieder nicht zwingend. Nach übereinstimmender Rechtsprechung von BGH und BAG kann bei Organmitgliedern in demselben Umfang vom BetrAVG abgewichen werden, wie auch eine Abweichung durch Tarifvertrag zulässig wäre. § 3 BetrAVG zählt zu den tarifdispositiven Vorschriften. Folglich ist § 3 BetrAVG für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer abdingbar. Ein Verzicht erfasst auch eine mögliche Hinterbliebenenversorgung, die potentiell begünstigten Hinterbliebenen müssen dem Verzicht also nicht zustimmen.

2. Ausdrückliche Regelung
Wird ein Verzicht erklärt, muss dieser aufgrund der Eingriffsintensität eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden. Gesamterledigungsklauseln in Aufhebungsverträgen erfassen im Regelfall Ansprüche auf Betriebsrente nicht. Es ist also unerlässlich, den Verzicht auf Versorgungsansprüche ausdrücklich unabhängig von solchen Gesamterledigungsklauseln zu regeln. Da die Rechtsprechung auch Verzichtserklärungen einer AGB-Kontrolle unterwirft, wenn sie vom Unternehmen vorformuliert sind, ist im Hinblick auf Transparenz und Angemessenheit einer Verzichtserklärung größte Vorsicht geboten.

3. Verbindung von Pensionsverzicht und „Restschuldbefreiung“
In vielen Fällen erklärt der Betroffene den Verzicht auf Betriebsrente nur unter der Voraussetzung, dass damit seine Pflichtverletzung abschließend geregelt ist und Ansprüche auf Schadensersatz nicht (mehr) bestehen. Gegen eine solche Regelung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Eine oft übersehene Besonderheit enthält jedoch § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, wonach gegenüber einem Vorstandsmitglied auf Schadensersatzansprüche erst nach drei Jahren und nur durch Hauptversammlungsbeschluss verzichtet werden kann. Eine vor Ablauf dieser Frist geschlossene Verzichtsvereinbarung ist unwirksam und wird auch nicht mit Fristablauf rückwirkend wirksam. Für GmbH-Geschäftsführer gilt keine vergleichbare Verzichtssperre, hier gilt auch § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht analog.

Ein wechselseitiger Verzicht auf Schadensersatzansprüche einerseits und Betriebsrente andererseits ist aus Sicht des Unternehmens sinnvoller als die Anerkennung einer bestimmten Schadensersatzsumme unter gleichzeitiger Vereinbarung, dass diese gegen die Betriebsrentenansprüche aufgerechnet wird. Zum einen wirft die Aufrechnung gegen laufende Leistungen schwierige Fragen auf. Auch kann – je nach Ausgestaltung – die Pension lohnsteuerpflichtig sein, sodass sich das Problem der Aufrechnung von brutto gegen netto stellt. Vor allem aber hängt die Höhe der Betriebsrentenansprüche, die für eine Aufrechnung zur Verfügung stehen, davon ab, wie lange ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.04.2021 11:46
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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