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EuGH v. 15.4.2021 - C-515/19

Internetverbindung an Bord von Flugzeugen

Ein Satellitenmobilfunksystem, das in Bezug auf die Kapazität der übertragenen Daten hauptsächlich auf ergänzenden Bodenkomponenten beruht, die so aufgestellt sind, dass sie das gesamte Unionsgebiet abdecken, ist nicht zwangsläufig mit dem europäischen Rechtsrahmen unvereinbar. Der verstärkte Einsatz von Bodenkomponenten ist möglich, sofern der Wettbewerb nicht verfälscht wird und die Satellitenkomponente des Systems einen echten und konkreten Nutzen aufweist.

Der Sachverhalt:
Zur Erleichterung der Entwicklung eines wettbewerbsbestimmten Binnenmarktes für Satellitenmobilfunkdienste in der EU und zur Sicherstellung einer stufenweisen Abdeckung des Gebiets aller Mitgliedstaaten erließen das EU-Parlament und der Rat die Entscheidung Nr. 626/2008 (MSS-Entscheidung). Am Ende eines Verfahrens zur Auswahl der Betreiber europaweiter Systeme, die Satellitenmobilfunkdienste (MSS) erbringen, wählte die EU-Kommission u.a. das Unternehmen Inmarsat Ventures SE aus. Dieses Unternehmen entwickelte ein European Aviation Network genanntes System, das die Dienstleistung der Internetverbindung auf Flügen erbringen soll.

Im Oktober 2014 genehmigte die Regulierungsbehörde für elektronische Kommunikation und Post in Frankreich Inmarsat die Nutzung bestimmter Frequenzen im Gebiet des europäischen Teils Frankreichs und erteilte ihr mit Entscheidung vom 22.2.2018 die Genehmigung zum Betrieb von ergänzenden Bodenkomponenten der Satellitenmobilfunksysteme. Daraufhin erhob Eutelsat, eine Wettbewerberin von Inmarsat, beim Staatsrat in Frankreich Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, u.a. wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht. Das französische Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der EuGH hat nunmehr eine Auslegung von "Satellitenmobilfunksysteme" sowie der Begriffe "ergänzende Bodenkomponenten" und "mobile Bodenstation" im Hinblick auf die MSS-Entscheidung vorgenommen. Außerdem gibt der EuGH Hinweise zu den Befugnissen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, einem Betreiber die Genehmigungen zu versagen oder zu erteilen, die für die Bereitstellung der Satellitenmobilfunksysteme erforderlich sind.

Die Gründe:
Ein Satellitenmobilfunksystem muss in Bezug auf die Kapazität der übertragenen Daten nicht zwangsläufig hauptsächlich auf die Satellitenkomponente dieses Systems gestützt sein. In den einschlägigen Bestimmungen der MSS-Entscheidung wird das Verhältnis zwischen der Satellitenkomponente eines Satellitenmobilfunksystems zum einen und der Bodenkomponente dieses Systems zum anderen in Bezug auf die Kapazität der übertragenen Daten nicht definiert. Im Übrigen kann aus der Verwendung des Begriffs "ergänzend" im Ausdruck "ergänzende Bodenkomponenten" kein Schluss gezogen werden, da dieser Begriff nichts über die relative Bedeutung der beiden Komponenten aussagt.

Eine Bodenstation kann als "ergänzende Bodenkomponenten der Satellitenmobilfunksysteme" eingestuft werden, wenn zwei Hauptanforderungen erfüllt sind. Die Bodenstation muss an einem festen Standort eingesetzt werden und ein Gebiet erfassen, das sich innerhalb der Ausleuchtzone der/des Satelliten des betreffenden Satellitenmobilfunksystems befindet. Zudem muss sie in funktionaler Hinsicht benutzt werden, um die Verfügbarkeit von Satellitenmobilfunkdiensten in den Gebieten zu verbessern, in denen die Kommunikation mit der Satellitenkomponente dieses Systems nicht mit der erforderlichen Qualität garantiert werden kann. Sobald diesen Anforderungen entsprochen wird und die weiteren gemeinsamen Bedingungen erfüllt sind, kann aus den Bestimmung der MSS-Entscheidung keine Begrenzung der Zahl der ergänzenden Bodenkomponenten, die betrieben werden können, oder des Ausmaßes des Gebiets, das sie abdecken, abgeleitet werden. In diesem Zusammenhang ist der Begriff "erforderliche Qualität" als das Qualitätsniveau zu verstehen, das für die Erbringung des vom Betreiber dieses Systems angebotenen Dienstes erforderlich ist, und im Licht des Ziels, die Innovation, den technischen Fortschritt und die Verbraucherinteressen zu fördern, auszulegen.

Allerdings darf der Betrieb von ergänzenden Bodenkomponenten nicht zu einer Verfälschung des Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt führen und die Satellitenkomponente des Satellitenmobilfunksystems muss einen echten und konkreten Nutzen in dem Sinn aufweisen, dass eine solche Komponente für das Funktionieren dieses Systems notwendig sein muss, vorbehaltlich eines unabhängigen Betriebs der ergänzenden Bodenkomponenten im Fall der Störung des Satellitensegments, der nicht länger als 18 Monate dauern darf. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden, die Einhaltung dieser Bedingungen zu kontrollieren.

Um unter den Begriff "mobile Bodenstation" zu fallen, muss eine solche Station nicht ohne ein anderes Gerät in der Lage sein, sowohl mit einer ergänzenden Bodenkomponente als auch mit einem Satelliten zu kommunizieren. Ungeachtet einer Reihe von zu beachtenden Anforderungen ist festzustellen, dass ein Gerätekomplex, der sich aus zwei verschiedenen Empfangseinheiten zusammensetzt, die durch ein Gateway miteinander verbunden sind (wobei die erste Empfangseinheit auf der Oberseite des Rumpfes eines Flugzeugs angebracht ist und mit einem Satelliten kommuniziert und sich die zweite Empfangseinheit auf der Unterseite des Flugzeugrumpfs befindet und mit ergänzenden Bodenkomponenten kommuniziert) diese Anforderungen erfüllt. Der Gerichtshof stellt klar, dass es in diesem Zusammenhang nicht relevant ist, dass die einzelnen Bestandteile keinen physisch untrennbaren Komplex bilden.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.04.2021 11:47
Quelle: EuGH PM Nr. 56 vom 15.4.2021

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