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Eigentumsvorbehalts-Verkäufer in Insolvenz (§ 107 Abs. 1 InsO) - Minderungsrecht bei Mängeln der Kaufsache (von Wilmowsky, ZIP 2021, 989)

Der Eigentumsvorbehalt (im Folgenden: EV) wirft nicht nur in der Insolvenz des Käufers, sondern auch in der des Verkäufers rechtliche Fragen auf. Zu diesen gehört: Kann der EV-Käufer auch noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den EV-Verkäufer den Kaufpreis mindern, wenn die Kaufsache bei der aufschiebend bedingten Übereignung, die vor der Verfahrenseröffnung erfolgte, einen Mangel aufwies?

I.  Einführung
II.  Seite des EV-Verkäufers: Entscheidungen der Insolvenzverwaltung und ihre Verteilungswirkungen

1.  Vorgaben des Gesetzes (§ 107 Abs. 1 InsO): Festlegung des Befriedigungsrangs?
1.1  Wortlaut
1.2  Systematische Erwägungen
1.3  Geschichte und Regelungszweck
2.  Verwertung
2.1  Ausschluss einer Verwertungsentscheidung durch § 107 Abs. 1 InsO?
2.2  Gegenüberstellung von Ertrag und Aufwand
2.3  Die Verwertungsentscheidung: Geltendmachung oder Nichtgeltendmachung des Anspruchs auf den (Rest-)Kaufpreis
2.4  Ergebnis zur Verwertung
3.  Verteilung
3.1  Verteilung nach Geltendmachungsentscheidung
3.1.1  Insolvenzverwaltung: Leistung derNacherfüllung
3.1.2  Insolvenzverwaltung: Keine Leistung der Nacherfüllung
3.2  Verteilung nach Nichtgeltendmachungsentscheidung
3.2.1  Insolvenzmäßige Befriedigung des Nacherfüllungsanspruchs gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO (Verrechnung der Anspruchswerte)
3.2.2  Sonderfall: „Falsche“ Nichtgeltendmachungsentscheidung der Insolvenzverwaltung des EV-Verkäufers
3.2.3  Vertragliches Rücktrittsrecht (wegen Befriedigungsgefährdung des Nacherfüllungsanspruchs)
3.2.4  Vertragliches Minderungsrecht
3.2.5  Vergleich Verrechnungslösung – Minderungsrecht
3.2.6  „Quote gegen Leistung“
4.  Spaltung des Vertrags?
4.1  Vergleichbarkeit mit § 106 Abs. 1 InsO?
4.2  Unterstützung durch den Regelungszweck des § 107 Abs. 1 InsO?
5.  Ergebnisse zur Verkäuferseite
III.  Seite des EV-Käufers: Entscheidungen des EV-Käufers vor der Verwertungsentscheidung im Insolvenzverfahren
1.  Entscheidung des Käufers: Ausbau des Anwartschaftsrechts zum Eigentum
2.  Verteilungswirkungen für den EV-Käufer
2.1  Befriedigungsstatus des Nacherfüllungsanspruchs
2.2  (Kein) Minderungsrecht des EV-Käufers
3.  Ergebnis zur Käuferseite
IV.  Ergebnisse
1.  Minderungsrecht des EV-Käufers
2.  Funktion des § 107 Abs. 1 InsO


I.  Einführung
Wird beim EV-Kaufvertrag der EV-Verkäufer insolvent und gegen ihn das Insolvenzverfahren eröffnet, werfen Mängel, die die Kaufsache bei Übergabe und aufschiebend bedingter Übereignung (vor dem Insolvenzverfahren) aufwies, insolvenzrechtliche Fragen auf. Betrachtet wird folgender Sachverhalt: Kaufvertrag und aufschiebend bedingte Übereignung gehen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (gegen den EV-Verkäufer) voraus. Der Kaufpreis ist noch nicht (vollständig) bezahlt. Der Mangel ist behebbar; es besteht also ein Nacherfüllungsanspruch (§ 433 Abs. 1, § 439 BGB). Erst im Insolvenzverfahren setzt der EV-Käufer die erforderliche Frist, um ein Recht zum Rücktritt oder zur Minderung zu begründen. Die folgenden Ausführungen werden sich auf das Minderungsrecht konzentrieren.

Ob der EV-Käufer in dem beschriebenen Sachverhalt zur Minderung berechtigt ist, hängt – so viel ist gewiss – von den Entwicklungen im Insolvenzverfahren ab. Wird dort nacherfüllt (in der vom Käufer verlangten Variante, also entweder durch Beseitigung des Mangels oder durch Lieferung einer mangelfreien Sache), scheidet ein Minderungsrecht des EV-Käufers aus. Und umgekehrt: Wird nicht nacherfüllt, kann es zu einer Minderung des Kaufpreises kommen. Auf welchem Weg diese Minderung eintritt (ob als Gestaltungsrecht oder auf anderem Weg) und auf welche Entscheidung(en) im Insolvenzverfahren es ankommt, ist weniger klar und wird nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird eine automatische Minderung angenommen: Da der Verkäufer nur teilweise erfüllt habe, werde auch nur der entsprechende Teil des Kaufpreises geschuldet, und Zahlung dieses Teils lasse die Bedingung für den Eigentumsübergang eintreten. Innerhalb dieses Meinungslagers wird dieses Ergebnis häufig auf eine Spaltung des EV-Kaufvertrags (in einen Teil die Kaufsache in mangelhaftem Zustand betreffend und in einen zweiten Teil die Nacherfüllung betreffend) zurückgeführt. Andere Autoren konzipieren die Minderung als Teil eines Schadensersatzes, den der Verkäufer dem Käufer schulde. Als weiterer Weg, der zu einer Minderung des Kaufpreises führt, wird in Erwägung gezogen, dem EV-Käufer einen Anspruch mit Massestatus gegen den EV-Verkäufer darauf zu geben, dass der (insolvente) EV-Verkäufer ihm die Kaufsache erneut aufschiebend bedingt übereigne und zwar dieses Mal unter der aufschiebenden Bedingung der Zahlung des geminderten Kaufpreises.

Dieser Befund soll hier kritisch unter die Lupe genommen werden. Um die Rechtslage zu entwickeln, sind die Seiten von EV-Verkäufer und EV-Käufer zu trennen. Auf der Verkäuferseite (II) geht es um die Fragen, welche Aufgaben die Insolvenzverwaltung hinsichtlich des Vertrags wahrzunehmen hat, insbesondere welche Entscheidungen über den Vertrag gefällt werden sollen, und wie sich diese Entscheidungen auf die Rechtsposition des EV-Käufers auswirken. Auf der Käuferseite (III) ist zu prüfen, welche Handlungsoptionen dem EV-Käufer in der Zeit vor der Entscheidung der Insolvenzverwaltung zur Verfügung stehen und wann es sich für ihn lohnt, diese Optionen zu ergreifen.

Um die Darstellung zu vereinfachen, werden „Wert der Nacherfüllung“, „Aufwand für die Nacherfüllung“ und „Minderung des Kaufpreises wegen Wertminderung der Kaufsache aufgrund des Mangels“ in den folgenden Überlegungen im Betrag gleichgesetzt.

II.  Seite des EV-Verkäufers: Entscheidungen der Insolvenzverwaltung und ihre Verteilungswirkungen
Ein Vertrag, der bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Parteien noch nicht vollständig erfüllt wurde, bildet die Quelle sowohl eines Vermögensgegenstands als auch einer Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners. Vermögensgegenstand (und damit der Insolvenzverwaltung unterworfen) ist der Anspruch, der dem Insolvenzschuldner aufgrund des Vertrags gegen den Vertragspartner zusteht. Über seine Verwertung zu entscheiden, gehört zu den Aufgaben der Insolvenzverwaltung. Die Verbindlichkeit ergibt sich aus dem Anspruch, der dem Vertragspartner aus dem Vertrag gegen den Insolvenzschuldner noch zusteht. Soweit es sich um einen Vermögensanspruch i. S. d. § 38 InsO handelt, steht zu seiner Befriedigung (erfolge diese gegenständlich oder wertmäßig) der Wert, den der Vertragsanspruch des Insolvenzschuldners besitzt, exklusiv zur Verfügung. Auf welchem Weg dieser Befriedigungsvorrang umgesetzt wird, hängt von der Entscheidung ab, die ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.05.2021 11:56
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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