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EuGH v. 10.6.2021 - C-609/19 u.a.

Zur Verjährung bei Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verträgen über Darlehen in Fremdwährungen

Einem Verbraucher, der ein Darlehen in Fremdwährung aufgenommen hat und dem die Missbräuchlichkeit einer Klausel des Darlehensvertrags nicht bewusst ist, kann für die Rückerstattung der aufgrund dieser Klausel gezahlten Beträge keine Verjährungsfrist entgegengehalten werden. Die Information, die der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer hinsichtlich des Bestehens eines Wechselkursrisikos übermittelt, genügt nicht dem Transparenzerfordernis, wenn sie auf der Annahme beruht, dass der Wechselkurs zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung über die gesamte Laufzeit des Vertrags stabil bleiben werde.

Der Sachverhalt:
In den Jahren 2008 und 2009 nahmen Verbraucher zur Finanzierung des Kaufs von Immobilien oder von Anteilen an Immobiliengesellschaften bei der Bank BNP Paribas Personal Finance Hypothekendarlehen auf, die auf Schweizer Franken (CHF) lauteten und in Euro rückzahlbar waren. Aufgrund der Eigenschaften dieser Darlehen beinhaltete der Abschluss der Darlehensverträge ein Wechselkursrisiko im Zusammenhang mit den Schwankungen des Eurokurses gegenüber dem Kurs des CHF. Auch wenn die Darlehensverträge das Bestehen dieses Risikos nicht ausdrücklich erwähnten, war ihnen dennoch mittelbar zu entnehmen, dass ihnen dieses Risiko innewohnte und vom Verbraucher zu tragen war.

Nachdem die Verbraucher mit der Zahlung der monatlichen Raten in Schwierigkeiten geraten waren, wurden gerichtliche Verfahren vor dem erstinstanzliches Gericht sowie dem Regionalgericht in Frankreich eingeleitet. Diese Gerichte haben zu prüfen, ob die Klauseln der oben genannten Darlehensverträge, die die Verbraucher einem unbegrenzten Wechselkursrisiko ausgesetzt haben, im Licht der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen als missbräuchlich und die Verbraucher daher nicht bindend anzusehen sind. In diesem Kontext haben die französischen Gerichte dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Auslegung der Richtlinie vorgelegt.

Die Gründe:
Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind für den Verbraucher unverbindlich und als von Anfang an nicht existent anzusehen, so dass sie keine Wirkungen auf die Sach- und Rechtslage haben können. Folglich kann der Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer in einem solchen Vertrag enthaltenen Klausel keiner Verjährungsfrist unterliegen. Die Richtlinie steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der eine Klage, mit der die Restitutionswirkungen dieser Feststellung geltend gemacht werden, einer Verjährungsfrist unterliegt. Allerdings kann eine Verjährungsfrist für die Rückerstattung von aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträgen, die bereits abgelaufen sein könnte, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit dieser Klausel Kenntnis zu nehmen, keinesfalls mit der Richtlinie im Einklang stehen.

Es ist Aufgabe der vorlegenden Gerichte, zu beurteilen, ob die streitigen Klauseln einen die fraglichen Darlehensverträge kennzeichnenden Bestandteil festlegen, der Hauptgegenstand dieser Verträge ist. In diesem Fall erlaubt die Richtlinie die Prüfung der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln nämlich nur, wenn diese nicht klar und verständlich abgefasst sind. Es genügt dem Transparenzerfordernis nicht, wenn der Gewerbetreibende dem Verbraucher bei Vertragsschluss Informationen, selbst zahlreiche, übermittelt, wenn diese auf der Hypothese beruhen, dass der Wechselkurs zwischen der Kontowährung und der Zahlungswährung über die gesamte Laufzeit des Vertrags stabil bleiben wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verbraucher vom Gewerbetreibenden nicht auf den wirtschaftlichen Kontext hingewiesen wurde, der Auswirkungen auf die Schwankungen der Wechselkurse haben könnte.

Die Vertragsklauseln können zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien aus dem Darlehensvertrag verursachen. Dies wird besonders deutlich in Anbetracht der Kenntnisse des Gewerbetreibenden zum wirtschaftlichen Kontext (der Auswirkungen auf die Schwankungen der Wechselkurse haben kann), der besseren Mittel, über die der Gewerbetreibende verfügt, um das Wechselkursrisiko vorherzusehen, und des beträchtlichen Risikos in Bezug auf Schwankungen der Wechselkurse, das die streitigen Vertragsklauseln dem Verbraucher aufbürden. Soweit der Gewerbetreibende dem Verbraucher gegenüber das Transparenzerfordernis nicht beachtet hat, scheinen diese Klauseln dem Verbraucher nämlich ein zu den empfangenen Leistungen und dem Darlehensbetrag außer Verhältnis stehendes Risiko aufzubürden, da die Anwendung dieser Klauseln zur Folge hat, dass der Verbraucher die Kosten der langfristigen Entwicklung der Wechselkurse zu tragen hat.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.06.2021 10:05
Quelle: EuGH PM Nr. 100 vom 10.6.2021

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