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BGH v. 8.7.2021 - I ZR 248/19

Provisionsanspruch des Versicherungsmaklers bei Ausübung des Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 1 VVG durch den Versicherungsnehmer

Die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 1 VVG durch den Versicherungsnehmer lässt den Provisionsanspruch des Versicherungsmaklers, auf den wegen einer starken Annäherung an die Stellung eines Versicherungsvertreters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Rechtsgedanke des § 87a Abs. 3 HGB Anwendung findet, entfallen, ohne dass es einer Nachbearbeitung bedarf. Beantragt der Versicherungsnehmer bei dem Versicherungsunternehmen eine Beitragsfreistellung der Lebensversicherung, so besteht im Interesse eines Versicherungsmaklers, auf den wegen einer starken Annäherung an die Stellung eines Versicherungsvertreters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Rechtsgedanke des § 87a Abs. 3 HGB Anwendung findet, eine Pflicht zur Nachbearbeitung. Unterbleibt die rechtzeitige Nachbearbeitung, so bleibt der Provisionsanspruch des Versicherungsmaklers unberührt.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Versicherungsmakler. Die Beklagte betreibt einen Maklerpool und stellt angeschlossenen Maklern Produktanbindungen zur Verfügung. Mit dem Kläger schloss die Beklagte unter dem 24.9./5.10.2009 eine Courtagevereinbarung sowie eine Ergänzungsvereinbarung für vordiskontierte Produkte. Nach Ziffer 5.1 der Courtagevereinbarung oblag es der Beklagten, das vom Kläger vermittelte Geschäft zu verprovisionieren. Die Beklagte hatte hierüber Rechnung zu legen, wobei die Abrechnung im Rahmen eines Kontokorrentkontos erfolgen sollte. In Bezug auf vordiskontierte, also vorschüssig geleistete Provisionszahlungen hatten die Parteien in der Ergänzungsvereinbarung bestimmt, dass der Kläger im Falle von Vertragsstörungen Stornogefahrmitteilungen erhält, wozu unter § 4 folgende Vereinbarung getroffen wurde:

(5) Ne. [Beklagte] ist nur insoweit zum Versand von Stornogefahrmitteilungen verpflichtet, sofern ihr diese von den jeweiligen Unternehmen übersandt werden. Sie ist zur unverzüglichen Weiterleitung dieser Mitteilungen an den Vermittler verpflichtet, nicht aber dazu, weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Ab Juni 2016 belastete die Beklagte das Provisionskonto des Klägers mit folgenden Stornierungen, die Lebensversicherungsverträge mit der N. Versicherung betreffen:

Abrechnung
Vertrag
Betrag
23.6.2016
8.7.2016
von P.
E.
1.196,08 €
3.110,40 €
2.9.2016
Dr. S.
2.325,91 €

Stornogefahrmitteilungen erfolgten erst mit mehrmonatigen Verzögerungen. Der Kläger monierte die Stornierungen mit E-Mail vom 4.10.2016 als zu Unrecht erfolgt und forderte die Beklagte zur Gutschrift auf. Der Kläger verlangt mit seiner Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - die Feststellung, dass die Beklagte dem Provisionskonto des Klägers einen Betrag i.H.v. rd. 6.600 € nebst Zinsen gutzuschreiben hat. Ferner verlangt der Kläger Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 700 € nebst Prozesszinsen.

Das LG entsprach dem Feststellungsantrag hinsichtlich einer Gutschrift i.H.v. rd. 1.200 € (Provision im Fall von P.) nebst ab dem 1.11.2016 laufender Zinsen und wies die Klage im Übrigen ab. Das OLG änderte den auf diesen Gutschriftbetrag entfallenden Zinsbeginn auf den 11.10.2016 ab und verurteilte die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 200 € nebst Zinsen. Im Übrigen blieb die Berufung des Klägers erfolglos. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH teilweise Erfolg.

Die Gründe:
Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich gegen die Abweisung des Feststellungsantrags i.H.v. rd. 3.100 € (Fall E.) und des darauf entfallenden Anspruchs auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wendet. Erfolg hat die Revision hingegen, soweit sie die Abweisung des Feststellungsantrags i.H.v. rd. 2.300 € (Fall Dr. S.) und des darauf entfallenden Anspruchs auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten angreift.

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, dass infolge des vom Versicherungsnehmer E. nach § 8 VVG erklärten Widerrufs keine Pflicht zur Nachbearbeitung bestanden habe. Eine Pflicht des Unternehmers zur Nachbearbeitung von Verträgen, die ein Handelsvertreter vermittelt hat, besteht nur hinsichtlich solcher der Nichtausführung des Vertrags zugrundeliegenden Umstände, die der Unternehmer i.S.d. § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB zu vertreten hat. Hierzu zählen nicht nur die Rechtsgründe, die unmittelbar zur Beendigung des Vertrags zwischen dem Unternehmer und dem Dritten geführt haben, sondern alle vom Unternehmer zu vertretenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände, auf denen die Nichtausführung des Vertrags beruht. Zu vertreten i.S.d. § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB hat der Unternehmer die Umstände, auf denen die Nichtausführung des Geschäfts beruht, nicht nur, wenn ihm oder seinen Erfüllungsgehilfen insoweit persönliches Verschulden zur Last fällt (§§ 276, 278 BGB), sondern darüber hinaus auch dann, wenn sie seinem unternehmerischen oder betrieblichen Risikobereich zuzuordnen sind oder auf einem übernommenen Risiko beruhen. Bei der Festlegung des Pflichtenkreises des Unternehmers ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter angemessener Berücksichtigung wirtschaftlicher Gegebenheiten geboten.

Nicht vom Unternehmer zu vertreten sind etwa unvorhersehbare Betriebsstörungen und rechtswidrige hoheitliche Eingriffe. Die Ausübung eines im vermittelten Vertrag vorgesehenen Rücktrittsrechts des Unternehmers hat dieser ebenfalls nicht zu vertreten, sofern er nicht für das Eintreten der Voraussetzungen des Rücktrittsrechts Verantwortung trägt. Führt hingegen vertragswidriges Verhalten des Unternehmers dazu, dass der Kunde vom Vertrag zurücktritt, so hat dies der Unternehmer zu vertreten. Nach diesen Grundsätzen stellt die Ausübung des Widerrufsrechts des Versicherungsnehmers nach § 8 Abs. 1 VVG keinen Umstand dar, den derjenige zu vertreten hat, dem grundsätzlich die Nachbearbeitung obliegt. Im Streitfall hat folglich die Beklagte im Verhältnis zum Kläger die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Versicherungsnehmer E. nicht zu vertreten. Die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 1 VVG durch den Versicherungsnehmer lässt den Provisionsanspruch des Versicherungsmaklers, auf den wegen einer starken Annäherung an die Stellung eines Versicherungsvertreters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) der Rechtsgedanke des § 87a Abs. 3 HGB Anwendung findet, also entfallen, ohne dass es einer Nachbearbeitung bedarf.

Die Revisionserwiderung wendet sich auch erfolglos gegen die Annahme des OLG, der Kläger sei nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) in gleicher Weise schutzwürdig wie ein Handelsvertreter, so dass im Streitfall grundsätzlich eine Pflicht der Beklagten zur Nachbearbeitung der vom Kläger vermittelten Versicherungsverträge durch Übersendung von Stornogefahrmitteilungen bestanden habe. In der BGH-Rechtsprechung ist anerkannt, dass - unabhängig von der vom BGH offengelassenen Frage, ob § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB analog auf einen Versicherungsmakler angewendet werden kann - sich aus § 242 BGB oder einer hieran orientierten Vertragsauslegung die Pflicht des Versicherers zur Nachbearbeitung von durch einen Versicherungsmakler vermittelten notleidenden Versicherungsverträgen ergeben kann, wie sie im Falle des Versicherungsvertreters grundsätzlich besteht. Verletzt der Versicherer in einem solchen Fall die Pflicht zur Nachbearbeitung, bleibt der Courtageanspruch des Versicherungsmaklers auch bei Nichtausführung des Geschäfts bestehen. Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Beurteilung richtet sich nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls und entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung.

Gesichtspunkte, die aufgrund einer starken Annäherung an die Stellung eines Versicherungsvertreters nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) für die Annahme der besonderen Schutzbedürftigkeit des Versicherungsmaklers sprechen können, sind etwa die Zahlung laufender Courtagevorschüsse für vermittelte Versicherungsverträge, die Einbindung in die Organisationsstruktur, die Zahlung von Organisationszuschüssen oder von Bestandspflegegeld und die regelmäßige Versendung von Stornomitteilungen. Die im Einzelfall vorzunehmende wertende Betrachtung der Gesamtumstände unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB obliegt in erster Linie dem Tatgericht und kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob das Tatgericht die maßgeblichen Tatsachen vollständig festgestellt und gewürdigt und ob es die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat. Einen in diesem Sinne beachtlichen Rechtsfehler zeigt die Revisionserwiderung nicht auf.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.08.2021 16:18
Quelle: BGH online

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