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EuGH v. 9.9.2021 - C-33/20 u.a.

Zum Widerruf eines Autokreditvertrags lange nach Unterzeichnung

Der EuGH hat sich vorliegend mit dem Widerruf von Verbraucherkreditverträgen, die zur Finanzierung eines Autokaufs abgeschlossen wurden, auseinandergesetzt.

Der Sachverhalt:
Die klagenden Autokäufer streiten mit den beklagten Banken (Volkswagen Bank, Skoda Bank und BMW Bank) darüber, ob sie die mit diesen Banken zwecks eines Autokaufs geschlossenen Kreditverträge noch Jahre nach Vertragsabschluss (teilweise sogar nach vollständiger Tilgung) wirksam widerrufen konnten, weil die Verträge nicht alle erforderlichen Informationen enthalten hätten.

Nach Art. 14 der Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkredite kann der Verbraucher den Kreditvertrag innerhalb von vierzehn Kalendertagen ohne Angabe von Gründen widerrufen, wobei die Widerrufsfrist entweder am Tag des Abschlusses des Kreditvertrags beginnt oder an dem Tag, an dem der Verbraucher die Vertragsbedingungen und die Informationen gem. Art. 10 der Richtlinie erhält, sofern dieser später liegt.

Das mit der Sache befasste LG Ravensburg hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH in diesem Zusammenhang im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens um Auslegung dieser beiden Richtlinienbestimmungen ersucht.

Die Gründe:
Art. 10 Abs. 2 Buchst. a, c und e der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag ggf. in klarer, prägnanter Form angegeben werden muss, dass es sich um einen verbundenen Kreditvertrag i.S.v. Art. 3 Buchst. n handelt und dass dieser Vertrag als befristeter Vertrag geschlossen worden ist. Art. 10 Abs. 2 ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass in einem verbundenen Kreditvertrag i.S.v. Art. 3 Buchst. n, der ausschließlich der Finanzierung eines Vertrags über die Lieferung eines Gegenstands dient und vorsieht, dass der Kreditbetrag an den Verkäufer dieses Gegenstands ausgezahlt wird, angegeben wird, dass der Verbraucher in Höhe des ausgezahlten Betrags von seiner Verbindlichkeit zur Zahlung des Kaufpreises befreit ist und dass der Verkäufer ihm, sofern der Kaufpreis vollständig beglichen ist, den gekauften Gegenstand auszuhändigen hat.

Art. 10 Abs. 2 Buchst. l ist dahin auszulegen, dass in dem Kreditvertrag der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Satz der Verzugszinsen in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret zu beschreiben ist. Haben die Parteien des betreffenden Kreditvertrags vereinbart, dass der Verzugszinssatz nach Maßgabe des von der Zentralbank eines Mitgliedstaats festgelegten und in einem für jedermann leicht zugänglichen Amtsblatt bekannt gegebenen Änderung des Basiszinssatzes geändert wird, reicht ein Verweis im Kreditvertrag auf diesen Basiszinssatz aus, sofern die Methode zur Berechnung des Satzes der Verzugszinsen nach Maßgabe des Basiszinssatzes in diesem Vertrag beschrieben wird. Insoweit sind zwei Voraussetzungen zu beachten. Erstens muss die Darstellung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher, der nicht über Fachkenntnisse im Finanzbereich verfügt, leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der Angaben im Kreditvertrag zu berechnen. Zweitens muss auch die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in dem fraglichen Kreditvertrag angegeben werden.

Art. 10 Abs. 2 Buchst. r ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise anzugeben ist, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann. Art. 10 Abs. 2 ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass im Kreditvertrag alle Situationen anzugeben sind, in denen den Parteien des Kreditvertrags ein Kündigungsrecht nicht durch diese Richtlinie, sondern nur durch die nationalen Rechtsvorschriften zuerkannt wird. Art. 14 Abs. 1 ist dahin auszulegen, dass er es dem Kreditgeber verwehrt, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts gem. dieser Bestimmung durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung zu berufen, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten hat.

Die Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass der Kreditgeber im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts gem. Art. 14 Abs. 1 durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen darf, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte. Art. 10 Abs. 2 Buchst. t ist dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag die wesentlichen Informationen über alle dem Verbraucher zur Verfügung stehenden außergerichtlichen Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren und ggf. die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten, darüber, ob die Beschwerde oder der Rechtsbehelf per Post oder elektronisch einzureichen ist, über die physische oder elektronische Adresse, an die die Beschwerde oder der Rechtsbehelf zu senden ist, und über die sonstigen formalen Voraussetzungen, denen die Beschwerde oder der Rechtsbehelf unterliegt, anzugeben sind. Was diese Informationen betrifft, reicht ein bloßer Verweis im Kreditvertrag auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung oder auf ein anderes Schriftstück oder Dokument, in dem die Modalitäten der außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren festgelegt sind, nicht aus.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.09.2021 11:59
Quelle: EuGH online

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