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Konzernweite Hinweisgebersysteme nach der Whistleblowing-Richtlinie (Holle, ZIP 2021, 1950)

Bis zum 17.12.2021 haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Zeit, die Vorgaben der Whistleblowing-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Bestandteil dieser Vorgaben ist, dass die Mitgliedstaaten juristische Personen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern zu verpflichten haben, Hinweisgebersysteme bereitzuhalten. Wozu sich die Richtlinie allerdings nicht explizit verhält, ist die sich für Unternehmen regelmäßig stellende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Verpflichtung im Konzern einheitlich nachgekommen werden kann. Die bisherigen Stellungnahmen aus der Literatur gehen auseinander, behandeln die Thematik zumeist aber auch nur am Rande. Der vorliegende Beitrag soll tiefer dringen und eingehender ausloten, welche Gestaltungsoptionen mit den Richtlinienvorgaben vereinbar sind.

I.  Ausgangslage
II.  Meinungsstand
III.  Spielraum zur zentralisierten Erfassung von Hinweisen

1.  Erfordernis organisatorischer Trennung
1.1  Das scheinbare Zusammenspiel von Art. 8 Abs. 5 und Abs. 6 WBRL
1.2  Art. 8 Abs. 6 WBRL als Privilegierungstatbestand zur Schaffung nicht separierter Meldekanäle
1.3  Ableitungen für den Konzern
2.  Einschränkung der Konzernkontrolle kein Regelungsanliegen der Richtlinie
2.1  Fehlendes Konzernprivileg im Richtlinientext und in den Erwägungsgründen
2.2  Zweck- und rechtsfolgenorientierte Annäherung
IV.  Zusammenfassung und Ausblick


I.  Ausgangslage

Die RL (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-Richtlinie [WBRL]), gibt den Mitgliedstaaten in Art. 8 Abs. 1, 3 auf, sicherzustellen, dass juristische Personen des privaten Sektors mit 50 oder mehr Arbeitnehmern „Kanäle und Verfahren für interne Meldungen und für Folgemaßnahmen einrichten (…).“ Diese Kanäle und Verfahren sollen den Arbeitnehmern der juristischen Person die Meldung von Informationen über Handlungen oder Unterlassungen ermöglichen, die bestimmtes Unionsrecht verletzen (vgl. Art. 5 Nr. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 WBRL). Von ihrer Konzeption her müssen diese Kanäle und Verfahren die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewährleisten und nicht befugten Mitarbeitern den Zugriff hierauf verwehren (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a WBRL). Auch müssen sie eine unparteiische, nicht unbedingt andere Person oder Abteilung benennen, die für Folgemaßnahmen zuständig ist (Art. 9 Abs. 1 lit. c WBRL), und sicherstellen, dass dem Hinweisgeber spätestens drei Monate und sieben Tage nach Eingang seines Hinweises Rückmeldung gegeben wird (Art. 9 Abs. 1 lit. b, f WBRL). Die entsprechenden Kanäle und Verfahren können für weitere Personen geöffnet werden wie etwa Anteilseigner, Organmitglieder oder Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Geschäftspartnern arbeiten (vgl. Art. 8 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 lit. b, c, d, Abs. 2 WBRL). Ebenso steht es den Mitgliedstaaten frei, die Einrichtungsvorgabe auf Verstöße gegen nationale Rechtsvorschriften auszudehnen (vgl. Art. 2 Abs. 2 WBRL).

Die Unternehmenspraxis treibt derzeit unter anderem die Frage um, inwieweit in einem Konzern mit mehreren einrichtungsverpflichteten juristischen Personen die Möglichkeit besteht, der Einrichtungsverpflichtung durch ein zentrales, von der Muttergesellschaft oder einer anderen einzelnen Konzerngesellschaft betriebenes Hinweisgebersystem nachzukommen. Ein solches Vorgehen wäre zunächst einmal ressourcenschonender, da die wesentlichen Systemkomponenten zentral bei der Muttergesellschaft beziehungsweise der anderen einzelnen Konzerngesellschaft bereitgehalten werden könnten, anstatt mehrere Hinweisgebersysteme mit ihren jeweiligen finanziellen und personellen Einrichtungs- und Unterhaltungskosten autonom bei den einzelnen Konzerngesellschaften betreiben zu müssen. Darüber hinaus kann sich die Konzernleitung durch ein zentral administriertes System einen unmittelbareren Zugriff auf Anhaltspunkte für rechtswidrige Praktiken in den Tochtergesellschaften verschaffen und so ihrer Verpflichtung effektiver nachkommen, die bestehenden Beteiligungen sorgsam zu verwalten. Hierzu gehört nämlich zuvorderst im Rahmen des rechtlich Möglichen über die Vorgänge in abhängigen Gesellschaften informiert zu sein, um etwaiges Fehlverhalten frühzeitig erkennen und abstellen zu können. Die herkömmlichen Berichtslinien entlang der organisatorischen (Konzern-)Hierarchien bergen hier stets das Risiko, dass relevante Informationen die gesellschaftlichen Sphären nicht durchfließen, weil die Informationsträger befürchten müssen, daraus persönliche Nachteile zu erleiden – sei es, weil sie selbst pflichtwidrig gehandelt haben, sei es, weil sie sich möglichen Repressalien anderer Beteiligter ausgesetzt sehen.

Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ist es zulässig, ein konzerneinheitliches Hinweisgebersystem einzurichten. Die Details hat Klaus Ullrich Schmolke jüngst eingehend dargelegt. Ob ein solches Vorgehen allerdings noch den Vorgaben der WBRL gerecht wird, lässt der Richtlinientext im Dunkeln. Art. 8 Abs. 5 Satz 1 WBRL präzisiert die auf einzelne juristische Personen abstellende Einrichtungsvorgabe des Art. 8 Abs. 1, 3 WBRL lediglich dergestalt, dass die Meldekanäle „intern von einer hierfür benannten Person oder Abteilung betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden“ und dass die in Art. 9 Abs. 1 WBRL genannten Garantien und Anforderungen auch für Dritte gelten, die damit beauftragt sind, den Meldekanal zu betreiben. Ferner sieht Art. 8 Abs. 6 Satz 1 WBRL vor, dass „juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Arbeitnehmern (…) für die Entgegennahme von Meldungen und für möglicherweise durchzuführende Untersuchungen Ressourcen teilen“ können. Ausweislich des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 WBRL soll dies nichts an der Verpflichtung der jeweiligen juristischen Person ändern, Vertraulichkeit über die Person des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, zu wahren, dem Meldenden Rückmeldung zu geben und gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen.

II.  Meinungsstand
In Anbetracht dieser spärlichen Vorgaben wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Konzern aus Kostengründen und zum Zwecke einer effektiven Konzernkontrolle ein zentralisiertes, bei einer einzelnen Konzerngesellschaft angesiedeltes Hinweisgebersystem bereithalten kann. Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk ziehen aus Art. 8 Abs. 6 Satz 1 WBRL den Umkehrschluss, dass Unternehmen mit 250 oder mehr Arbeitnehmern ein eigenes Hinweisgebersystem vorhalten müssen. Sie folgern hieraus, dass konzernweite Hinweisgebersysteme nicht eingerichtet werden könnten, „sobald nur ein Gruppenunternehmen die vorgenannte Beschäftigtenschwelle“ überschreitet. Möglich sei aber eine Auslagerung auf externe Dritte. Gerdemann/Spindler deuten den Richtlinientext ebenfalls dahin, dass im Konzern jede einzelne Gesellschaft mit 250 oder mehr Arbeitnehmern eine eigene Whistleblowing-Stelle einzurichten hat. Sofern lediglich die Muttergesellschaft oder eine einzelne andere Konzerngesellschaft die Zahl von 249 Arbeitnehmern überschreite, erachten sie es anders als Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk aber als zulässig, eine gemeinsame Whistleblowing-Stelle bei dieser anzusiedeln. Dabei müssten allerdings die Grenzen der Unabhängigkeits- und Vertraulichkeitsstandards beachtet werden. Konkret müsse bei der betreffenden Gesellschaft eine von dieser weitgehend unabhängige und damit unparteiische Person bestellt werden, die als interne Whistleblowing-Stelle der Tochtergesellschaften fungiert, allerdings selbst gegenüber ihren Kollegen in der Abteilung der betreffenden Gesellschaft nicht zur Auskunft über die Identität des Whistleblowers berechtigt wäre.

Andere Autoren treten für eine konzernoffenere Lesart ein. Gerrit Forst spricht explizit davon, dass es sich bei den externen Dritten i. S. d. Art. 8 Abs. 5 Satz 1 WBRL auch um „andere Gesellschaften einer Unternehmensgruppe“ handeln könne. Gruppenweite interne Meldekanäle seien also zulässig. Anders als im Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 6 WBRL müsse allerdings gewährleistet sein,...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.09.2021 10:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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