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BayObLG v. 20.9.2021 - 101 ZBR 134/20

Überprüfung unrichtiger Auskünfte im Auskunftserzwingungsverfahren gem. § 132 AktG?

Im Auskunftserzwingungsverfahren gem. § 132 AktG ist nicht zu prüfen, ob eine erteilte Auskunft unrichtig ist, es sei denn, sie ist nicht ernst gemeint, ersichtlich unvollständig oder von vornherein unglaubhaft. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Auskunft, kann dem Aktionär ein Anspruch auf eidesstattliche Versicherung zustehen. Der Anspruch auf eidesstattliche Versicherung kann ebenfalls im Verfahren nach § 132 AktG, ggf. im Wege des Stufenantrags, geltend gemacht werden.

Der Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin ist eine dualistische Societas Europaea (SE). Ihr Grundkapital ist unterteilt in Stamm- und Vorzugsaktien. Die Antragsteller sind Aktionäre der Antragsgegnerin. Sie halten insgesamt ein Drittel des Grundkapitals, die übrigen Aktien halten die P. SE sowie die P. Vermögenswaltungs KG. Im Jahr 2016 kaufte die Antragsgegnerin drei Aktienpakete bestehend aus Aktien der Volkswagen AG, der Daimler AG und der BMW AG. Diesen Erwerb beanstandeten die Antragsteller bereits im Jahr 2018. Anfang 2019 verkaufte die Antragsgegnerin die Aktienpakete und erlöste dafür insgesamt einen etwa 18 % unter dem Einkaufspreis liegenden Betrag.

Am 28.6.2019 fand eine Hauptversammlung der Antragsgegnerin statt. In dem dort zur Einsichtnahme durch die Aktionäre ausgelegten Abhängigkeitsbericht zum 31.12.2018 waren die Aktienpakete und die Abschreibungen darauf aufgeführt. Im Abhängigkeitsbericht zum 31.12.2017, der bei der Hauptversammlung im Jahr 2018 ausgelegen hatte, waren die Aktienpakete nicht erwähnt worden. An der Hauptversammlung nahmen die Antragsteller sowie deren Verfahrensbevollmächtigter als Vertreter des Antragstellers zu 1) teil; sie erklärten, dass sie sich jeweils alle Fragen der anderen Antragsteller zu eigen machten. U.a. wurde von Seiten der Antragsteller die Frage gestellt, ob ein Verkauf der Aktienpakete an die Mehrheitsaktionärin, an ein mit dieser verbundenes Unternehmen oder an eine hinter dieser Mehrheitsaktionärin stehende Person erfolgt sei. Das wurde verneint; der Vorstand erklärte, dass ein Verkauf an der Börse erfolgt sei. Daraufhin stellte die Antragstellerseite eine weitere Frage zum Inhalt des Abhängigkeitsberichts, über deren Wortlaut ebenso Streit besteht wie über den Wortlaut der Antwort des Vorstands.

Am 12.7.2019 stellten die Antragsteller beim LG einen Auskunftsantrag, mit dem sie die Beantwortung von vierzehn Fragen begehrten. Sie trugen u.a. vor, der anwaltliche Vertreter des Antragstellers zu 1) habe folgende Frage gestellt: "Warum haben die Aktienpakete VW, Daimler, BMW und die Abschreibungen darauf Eingang in den Abhängigkeitsbericht gefunden?" Der Vorstand habe hierzu erklärt, man habe diese Vermögenswerte und die Abschreibungen hierauf aufgenommen, damit der Bericht vollständiger erscheine. Die Antragsgegnerin trug vor, die vom Antragsteller zu 1) gestellte Frage habe gelautet: "Im Abhängigkeitsbericht sind Erträge aus Wertpapieren vermerkt. Das sind die Dividenden der Automobilaktien, ebenso die Abschreibungen auf diese Automobilaktien. Das verstehe ich nicht. Was hat das im Abhängigkeitsbericht zu suchen?" Ihr Vorstand habe wie folgt geantwortet: "Der Verkauf der Aktien als Rechtsgeschäft mit Dritten gem. § 312 Abs. 1 Satz 2 AktG wurde in den Abhängigkeitsbericht aufgenommen. Ergänzend wurden auch alle weiteren Ergebniseffekte aus der Bewertung sowie die Erträge der Wertpapiere der Vollständigkeit wegen freiwillig ergänzt." Auch wenn die Frage nicht vom Auskunftsrecht umfasst gewesen sei, sei sie dadurch umfassend beantwortet worden.

Die Antragsteller beantragten vor dem LG, den Vorstand der Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen u.a. über folgende in der Hauptversammlung der Antragsgegnerin vom 28.6.2019 gestellte Frage Auskunft zu geben: "14. Warum haben die Aktienpakete VW, Daimler und BMW und die Abschreibungen darauf Eingang in den Abhängigkeitsbericht gefunden?" Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag zurückzuweisen.

Das LG wies den dargestellten Antrag - ebenso wie die für das Beschwerdeverfahren bedeutungslosen weiteren Anträge - zurück. Die Beschwerde der Antragsteller hatte vor dem BayObLG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) enthält für das Auskunftsrecht der Aktionäre keine Regelungen, sondern verweist in Art. 53 auf die im Sitzstaat der SE für Aktiengesellschaften maßgeblichen Rechtsvorschriften, mithin hier auf §§ 131 f. AktG. Der Beschwerde fehlt - jedenfalls nunmehr - das für ihre Zulässigkeit erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, so dass die vom LG als grundsätzlich erachtete Frage dahinstehen kann, ob Auskünfte zum Abhängigkeitsbericht in der Hauptversammlung zu erteilen sind.

Im Auskunftserzwingungsverfahren gem. § 132 AktG fehlt einer Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Aktionär die in der Hauptversammlung geforderte Auskunft während des Verfahrens erhalten hat. Denn ein bereits eingelegtes Rechtsmittel wird im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit der Erledigung der Hauptsache grundsätzlich insgesamt unzulässig, wenn kein Fall des § 62 Abs. 1 FamFG vorliegt oder der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel nicht in zulässiger Weise auf den Kostenpunkt beschränkt. Mit der Erledigung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittel. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit tritt eine Erledigung der Hauptsache ein, wenn der Verfahrensgegenstand durch ein Ereignis, das eine Veränderung der Sach- und Rechtslage bewirkt, weggefallen ist, so dass die Weiterführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte, da eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen kann. Das gilt unabhängig davon, ob die erteilte Auskunft zutreffend ist. Denn diese Frage wird im Auskunftserzwingungsverfahren grundsätzlich nicht geprüft. Denn mit der Erteilung der Auskunft wird der Auskunftsanspruch erfüllt, es sei denn, die Auskunft ist nicht ernst gemeint, ersichtlich unvollständig oder von vornherein unglaubhaft.

Das entspricht außerhalb des Aktienrechts allgemeiner Auffassung. Entsprechend kann ein Auskunftstitel nach Erteilung einer Auskunft mit Erfüllungswirkung auch bei Zweifeln an deren Richtigkeit nicht mehr vollstreckt werden. Das für den Zivilprozess durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleistete Recht des Auskunftsgläubigers auf effektiven Rechtsschutz wird nicht dadurch unangemessen beeinträchtigt, dass Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erteilten Auskunft im Verfahren nach § 888 ZPO keine Berücksichtigung finden. Denn wenn es hinreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt, insbesondere unrichtig, erteilt worden ist, erwächst dem Auskunftsgläubiger - vorbehaltlich der Einschränkung für Angelegenheiten geringer Bedeutung durch § 259 Abs. 3, § 260 Abs. 3 BGB - ein materiell-rechtlicher Anspruch darauf, dass der Auskunftsschuldner die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Auskunft an Eides Statt versichert. Auch über die Tatbestandsgrenze des § 260 BGB hinaus ist grundsätzlich jeder wie auch immer geartete Auskunftsanspruch mit einem Recht auf eidesstattliche Versicherung versehen.

Die Vorstellung von den strafrechtlichen Folgen einer falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156, § 161 Abs. 1 StGB) soll den Auskunftsschuldner zu Ehrlichkeit und Sorgfalt bewegen. Die Geltendmachung dieses Anspruchs stellt sich als hinsichtlich der Grundrechtspositionen des Auskunftsschuldners milderes Mittel dar, den Rechtsschutz des Auskunftsgläubigers zu verwirklichen, zumal die gerichtliche Überprüfung der Richtigkeit der Auskunft gerade dann regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn der Auskunftsgläubiger auf sie angewiesen ist, weil ihm andere Erkenntnisquellen nicht zur Verfügung stehen, und auch der Auskunftsschuldner oftmals keine Möglichkeit hat, die Richtigkeit seiner Angaben zu belegen, etwa wenn sie innere Tatsachen betreffen. Es besteht kein Anlass, hiervon im aktienrechtlichen Auskunftserzwingungsverfahren abzuweichen. Der Anspruch auf eidesstattliche Versicherung kann ebenfalls im Verfahren nach § 132 AktG, ggf. im Wege des Stufenantrags, geltend gemacht werden.

Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 36 Abs. 1 GNotKG. Die Geltendmachung aktienrechtlicher Auskunftsansprüche stellt eine vermögensrechtliche Angelegenheit dar. Ihr Wert ist deshalb gem. § 36 Abs. 1 GNotKG nach billigem Ermessen festzusetzen. Nach allgemeiner Auffassung stellt die eigene - nicht offensichtlich unzutreffende - Wertangabe eines Antragstellers zu Beginn des Verfahrens ein gewichtiges Indiz für eine zutreffende Bewertung dar, weil in diesem Verfahrensstadium, in dem die spätere Kostentragungspflicht noch offen ist, erfahrungsgemäß Angaben von größerer Objektivität erwartet werden dürfen als zu einem späteren Zeitpunkt. Vorliegend haben die Antragsteller den Geschäftswert in der Antragsschrift mit 70.000,00 € angegeben (5.000 € je begehrte Antwort) und die Antragsgegnerin ist dem nicht entgegengetreten. Diese Bewertung ist nicht offensichtlich unzutreffend, sondern ohne weiteres nachvollziehbar, so dass sie der Festsetzung zugrunde zu legen ist.

Die landgerichtliche Festsetzung des Geschäftswerts für den ersten Rechtszug auf 20.000 € ist gem. § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 GNotKG abzuändern, weil sie den oben dargestellten Bewertungsgrundsätzen nicht entspricht. Die Änderungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts erstreckt sich auf die gesamte Wertfestsetzung, auch wenn nur ein Teil des erstinstanzlichen Hauptgegenstands in die Rechtsmittelinstanz gelangt, wie sich daran zeigt, dass sie gem. § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 bis 4 GNotKG sogar in den Fällen besteht, in denen nur die Entscheidung über den Geschäftswert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt, der Hauptgegenstand also bereits vollständig rechtskräftig geworden ist.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.10.2021 14:20
Quelle: Bayern.Recht

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