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BGH v. 16.9.2021 - IX ZR 213/20

Insolvenz: Konkludente Zustimmung zur Neubegründung eines Zahlungsdiensterahmenvertrags?

Erlischt ein Zahlungsdiensterahmenvertrag (Girovertrag) des Schuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und weiß die Bank nichts vom Insolvenzverfahren, können Handlungen der Bank nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, die sich nach objektivem Empfängerhorizont als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des (erloschenen) Zahlungsdiensterahmenvertrags darstellen, nicht als konkludente Zustimmung zur Neubegründung eines Zahlungsdiensterahmenvertrags ausgelegt werden.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Zahnarzt. Auf einen Insolvenzantrag vom 29.8.2014 bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 1.9.2014 den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete einen Zustimmungsvorbehalt gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an. Mit Beschluss vom 1.10.2014 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Bereits am 9.9.2014 eröffnete der Kläger bei der C-Bank ein neues Girokonto mit Kontokorrentabrede. Der Beklagte kannte das Girokonto des Klägers nicht. Der Kläger nutzte das Girokonto kaum; am 30.11.2014 betrug der Kontostand rd. 160 €.

Nachdem der Beklagte mit Wirkung zum 1.12.2014 die freiberufliche Tätigkeit des Klägers als Zahnarzt aus der Masse freigegeben hatte, nutzte der Kläger das Girokonto als neues Geschäftskonto. Mit Schreiben vom 22.12.2014 forderte der Beklagte die Bank auf, das Konto zu sperren. Später löste der Beklagte das Konto auf und ließ das am 31.12.2014 bestehende Kontoguthaben i.H.v. rd. 13.300 € auf ein für die Insolvenzmasse eingerichtetes Sonderkonto überweisen. Das Guthaben ist auf Gutschriften i.H.v. rd. 33.800 € und Abverfügungen des Klägers i.H.v. rd. 20.500 € zurückzuführen, welche die Bank ausgeführt hat. Unter den Gutschriften befinden sich Überweisungen der K über rd. 11.500 € und 1.000 € sowie Überweisungen der D-GmbH (D) über es. 11.900 € und 8.500 €. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Auszahlung von rd. 12.500 € in Anspruch.

LG und OLG gaben der Klage überwiegend - i.H.v. rd. 11.700 € - statt. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Im zweiten Rechtsgang wies das OLG die Klage in Höhe weiterer rd. 240 € ab und wies die weitergehende Berufung des Beklagten zurück. Auf die erneute Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil wiederum auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Zu Unrecht meint das OLG, dass der Kläger gem. § 816 Abs. 2 BGB die Rückzahlung des vom Beklagten vereinnahmten Kontoguthabens verlangen kann. Aus den Feststellungen des OLG ergibt sich nicht, dass das Guthaben auf dem Konto der Bank zum insolvenzfreien Vermögen des Klägers gehörte. Sie rechtfertigen es nicht, einen konkludenten Neuabschluss eines Girovertrags nach der Freigabeerklärung vom 1.12.2014 anzunehmen.

Zutreffend geht das OLG davon aus, dass der Zahlungsdiensterahmenvertrag vom 9.9.2014 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers gem. §§ 115, 116 InsO erloschen ist. Ein neuer Zahlungsdiensterahmenvertrag kann durch konkludente Willenserklärungen zustande kommen. Ob ein schlüssiges Verhalten als Willenserklärung zu werten ist, bestimmt sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Hiernach kommt es entscheidend darauf an, wie das Verhalten objektiv aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu verstehen ist. Die Bank muss Handlungen vorgenommen haben, derentwegen ein objektiver Empfänger ihr Verhalten nach dem 1.12.2014 als Annahme eines konkludenten Antrags des Klägers auf Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags zu den bisherigen Bedingungen verstehen musste.

Im Interesse der Rechtssicherheit können strenge Anforderungen an einen Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten zu stellen sein. Die Qualifizierung eines Verhaltens als schlüssige Annahmeerklärung setzt das Bewusstsein voraus, dass für das Zustandekommen des Vertrages zumindest möglicherweise noch eine Erklärung erforderlich ist. Der Erklärende muss Zweifel an dem Fortbestand des Vertrages haben. Handlungen, die sich als Erfüllungsleistungen darstellen, kommt ein Erklärungswert nicht allgemein, sondern nur dann zu, wenn der Schuldner aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall bei seiner Leistung aus der Sicht des Empfängers den Eindruck erweckt, er handle mit einem auf den Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung gerichteten Rechtsfolgewillen. Sie sind grundsätzlich nicht als schlüssige Annahmeerklärung auszulegen, wenn der handelnde Teil von einem wirksamen Vertrag ausgeht.

Bereits der Ausgangspunkt des OLG ist rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht meint es, es könne nicht angenommen werden, dass der Kläger am 9.9.2014 bei der Bank wirksam ein Girokonto eröffnet habe. Der Kläger war am 9.9.2014 in der Lage, sich uneingeschränkt zu verpflichten. Das OLG hat weiter den von ihm zugrunde gelegten Sachverhalt unvollständig gewürdigt und dabei den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung von Willenserklärungen außer Acht gelassen. Es hat unterstellt, dass der Bank weder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 1.9.2014 noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers bekannt gewesen seien. Damit stellen sich die Handlungen der Bank aus der Sicht eines objektiven Empfängers als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des bereits am 9.9.2014 abgeschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrags dar. Schon deshalb kommt ihnen kein weitergehender rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu. Dies gilt umso mehr, als das OLG nichts dazu feststellt, dass der Bank am 1.12.2014 die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Klägers und der Wille des Klägers, einen neuen Zahlungsdiensterahmenvertrag für den Zahlungsverkehr aufgrund der freigegebenen Tätigkeit abschließen zu wollen, bekannt oder auch nur erkennbar gewesen sind.

Den vom OLG herangezogenen Umständen kommt vorliegend kein Erklärungswert zu. Die vom Kläger am 9.9.2014 bei Abschluss des Zahlungsdiensterahmenvertrags gemachten Angaben geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die verstärkte Nutzung des Kontos nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit einen besonderen Erklärungsinhalt haben könnte. Ebenso wenig folgt aus der Art der Nutzung des Kontos ein besonderer Erklärungsinhalt. Der Kläger nutzte das Konto nach den Feststellungen des OLG - wenn auch nur in geringem Umfang und ohne erkennbaren Bezug zu einer zahnärztlichen Tätigkeit - bereits vor der Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Dann kann die verstärkte Nutzung nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit als solche keinen Erklärungsinhalt haben. Zudem wickelte die Bank durchgängig lediglich den Zahlungsverkehr entsprechend den am 9.9.2014 getroffenen Vereinbarungen ab. Schließlich berücksichtigt das OLG nicht, dass die Bank das Konto auf die Aufforderung des Beklagten ohne weiteres sperrte und das Guthaben auf ein Konto des Beklagten überwies. Ein solches Verhalten spricht dafür, dass die Bank davon ausging, kein Vertragsverhältnis mit dem Kläger im Rahmen der freigegebenen selbständigen Tätigkeit eingegangen zu sein.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.10.2021 10:49
Quelle: BGH online

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