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BGH v. 29.9.2021 - VII ZB 25/20

Kein vereinfachter Vollstreckungsantrag bei Vollstreckungsbescheiden gem. § 829a ZPO durch Inkassodienstleister

Die Möglichkeit des vereinfachten Vollstreckungsantrags bei Vollstreckungsbescheiden gem. § 829a ZPO ist für einen Gläubiger, der sich durch einen Inkassodienstleister als Bevollmächtigten vertreten lässt, nicht eröffnet, weil gem. §§ 80, 88 Abs. 2 ZPO die Vollmacht durch Einreichung der schriftlichen Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten nachgewiesen werden muss und es sich bei der Vollmachtsurkunde um eine die Anwendung des § 829a ZPO ausschließende, vorlegungspflichtige "andere Urkunde" i.S.d. § 829a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO handelt.

Der Sachverhalt:
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid i.H.v. rd. 52 € nebst Zinsen und Kosten. Zu diesem Zweck beantragte die Gläubigerin, vertreten durch die in das Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin N-OHG beim AG - Vollstreckungsgericht - die Pfändung und Überweisung von Forderungen des Schuldners gegen seine Bank im vereinfachten Verfahren "gem. § 829a ZPO".

Die N-OHG übermittelte den Antrag auf elektronischem Weg mit digitaler Signatur an das elektronische Gerichtspostfach und fügte ihm u.a. eine elektronische Ablichtung des Vollstreckungsbescheids sowie eine elektronische Ablichtung einer privatschriftlichen Vollmachtsurkunde der Gläubigerin zugunsten der N-OHG bei. Letztere enthält einen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Beglaubigungsvermerk eines Notars, mit dem dieser die Übereinstimmung des ihm in Urschrift vorliegenden Dokuments mit den in der Datei enthaltenen Bilddaten beglaubigt.

Das AG wies den Antrag der Gläubigerin auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gem. § 829a ZPO zurück. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin wies das LG zurück. Die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin hatte vor dem BGH ebenfalls keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das LG hat den Antrag der Gläubigerin auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses im vereinfachten Vollstreckungsverfahren gem. § 829a ZPO zu Recht zurückgewiesen.

Die Möglichkeit des vereinfachten Vollstreckungsantrags bei Vollstreckungsbescheiden gem. § 829a ZPO ist für einen Gläubiger, der sich durch einen Inkassodienstleister als Bevollmächtigten vertreten lässt, nicht eröffnet, weil gem. §§ 80, 88 Abs. 2 ZPO die Vollmacht durch Einreichung der schriftlichen Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten nachgewiesen werden muss und es sich bei der Vollmachtsurkunde um eine die Anwendung des § 829a ZPO ausschließende, vorlegungspflichtige "andere Urkunde" i.S.d. § 829a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO handelt.

Nach § 829a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist im Fall eines elektronischen Antrags zur Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid, der einer Vollstreckungsklausel nicht bedarf, bei Pfändung und Überweisung einer Geldforderung (§§ 829, 835 ZPO) die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 829a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 ZPO entbehrlich. Danach setzt der vereinfachte Vollstreckungsantrag bei Vollstreckungsbescheiden u.a. voraus, dass die Vorlage anderer Urkunden als der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids nicht vorgeschrieben ist, § 829a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

Tritt im Vollstreckungsverfahren nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auf, ist das Gericht gem. § 88 Abs. 2 ZPO stets zu einer Prüfung der Vollmacht von Amts wegen verpflichtet. Gem. § 80 ZPO muss das Gericht, wenn nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt, von Amts wegen die Vorlage einer schriftlichen Vollmachtsurkunde (§ 126 BGB) verlangen, weil es die Überzeugung vom Bestand der Vollmacht auf andere Weise nicht ordnungsgemäß gewinnen kann. Für einen vom Gläubiger bevollmächtigten Inkassodienstleister gilt im Rahmen von §§ 80, 88 Abs. 2 ZPO nichts anderes als für sonstige nichtanwaltliche Vertreter. Der Wortlaut des § 88 Abs. 2 ZPO sieht eine Ausnahme nur für Rechtsanwälte vor, deren Vollmacht danach nur auf Rüge zu überprüfen ist, § 88 Abs. 1 ZPO. Dies ist Ausdruck des gesteigerten Vertrauens in die Berufsträger als Organe der Rechtspflege. Eine Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 88 Abs. 2 ZPO für Inkassodienstleister im Wege einer analogen Anwendung kommt nicht in Betracht, da insoweit eine planwidrige Regelungslücke nicht festgestellt werden kann.

Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 in § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO den Inkassodienstleistern i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG auch die Vertretungsbefugnis im Verfahren zur Beantragung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen nach §§ 829, 835 ZPO eingeräumt. Ausweislich der Gesetzesmaterialien war für die Neuregelung maßgebend, dass der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses regelmäßig in einem formalisierten Verfahren erfolgt und es hierfür der besonderen Kenntnisse eines Rechtsanwalts nicht bedarf. Hieraus kann indes nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang die Regelung des § 88 Abs. 2 ZPO schlichtweg übersehen haben müsse. Denn der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 79 ZPO auch die Vorschrift des § 80 ZPO novelliert und in diesem Zusammenhang § 88 ZPO bewusst unverändert gelassen, um insgesamt eine in allen zivil- und öffentlich-rechtlichen Verfahrensordnungen "übereinstimmende Vorschrift zum Nachweis der Bevollmächtigung und zum Verfahren bei Vollmachtsmängeln" zu schaffen. Der Gesetzgeber hat mithin im Rahmen der Neuregelung der Vertretungsbefugnis von Inkassodienstleistern nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO davon abgesehen, diese im Rahmen ihres Tätigkeitsfelds entsprechend den Rechtsanwälten nach § 88 Abs. 2 ZPO zu behandeln.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.11.2021 17:46
Quelle: BGH online

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