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Gestaltungs- und Regelungsspielräume für Vertragsanpassungen von Bankverträgen nach der Postbank-Entscheidung - ein Fall für den Gesetzgeber? Casper, ZIP 2021, 2361)

Die AGB-rechtliche Rechtsprechung des XI. Zivilsenats hat mit der sog. Postbank-Entscheidung einen weiteren Paukenschlag gesetzt, indem sie Zustimmungsfiktionsklauseln bei AGB-Änderungen und Preisanpassungen in Nr. 1 Abs. 2, Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken (entsprechendes gilt für Nr. 2 und Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen) kassiert hat. Das Urteil hat weitreichende Folgen für die Praxis. Kunden können ggf. über Jahre gezahlte Gebühren zurückfordern. Die Banken sehen sich plötzlich Bestandskunden gegenüber, für die ganz verschiedenen Fassungen der AGB-Banken bis hin zu solchen aus dem Jahr 1977 gelten. Der Beitrag leuchtet Handlungsoptionen der Banken und deren Kunden aus und fragt abschließend, wie der Gesetzgeber diese Rechtsprechung abmildern könnte, da der XI. Senat die Tragweite seiner Entscheidung nicht hinreichend durchdacht hat.

I. Die Position des BGH im Überblick
II. Handlungsoptionen der Banken
1. Begrenzung der Rückwirkung?
1.1 Stillschweigende Zustimmung durch fortgesetzte Kontonutzung?
1.2. Anwendung der Dreijahresregel aus der Rechtsprechung zu Energielieferungsverträgen?
1.3 Verwirkung, sich nach Jahren noch auf unwirksame AGB-Änderungen zu berufen?
2. Weiternutzung der Zustimmungsfiktionsklauseln im unternehmerischen Verkehr
3. Einführung hinreichend bestimmter Zustimmungsfiktionsklauseln für die Zukunft
3.1 Hinreichend bestimmte Zustimmungsfiktion in Nr. 1 Abs. 2 n.F. AGB-Banken
3.2 Indexierte Preisanpassungsklauseln?
4. Einführung neuer Gesamt-AGB und Kündigung bei ausbleibender Zustimmung
4.1 Keine pauschale Rechtsmissbräuchlichkeit der ordentlichen Kündigung
4.2 Angebot als Änderungskündigung?
4.3 „AGB-Falle“ bei Sparkassen-AGB?
III. Handlungsoptionen des Kunden
1. Verjährung der Bereicherungsansprüche
2. Kündigung nach Anspruchsstellung?
IV. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf, Optionen des Gesetzgebers
1. Besteht ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf?
2. Übergreifende Lösungen für alle Dauerschuldverhältnisse
2.1 Klarstellung, dass Zustimmungsfiktionen zu AGB-Änderungen der Inhaltskontrolle standhalten
2.2 Beschränkung der Unwirksamkeit auf die Zukunft, Aufgabe einer Änderungsfrist
3. Bankspezifische Lösungen
3.1 Änderung des Regelungsgehalts des bisherigen § 675g BGB
2.2 Regelung, die die Zustimmungserteilung erleichtert
V. Fazit und Zusammenfassung in Thesen


I. Die Position des BGH im Überblick
Die Entscheidung des BGH vom 27.4.2021 überzeugt weder in ihrer Begründung noch hinsichtlich ihrer Folgewirkungen.  Zustimmungsfiktionsklauseln finden sich in Banken-AGB seit ihrer ersten Vereinheitlichung im Jahre 1937 und haben sich in der Praxis bewährt. Der Kunde hat ein rationales Desinteresse, sich nicht mit AGB-Änderungen beschäftigen zu müssen, die ihn mit ihren technischen und rechtlichen Details oft nicht interessieren. Bei Preisänderungen wird er informiert und kann sich im Vorfeld der Änderung zwei Monate überlegen, ob er die Änderung akzeptiert oder sein Kündigungsrecht ausübt und sich eine andere Bank sucht. Der BGH verlangt nun aber seine ausdrückliche Zustimmung zu der AGB-Änderung, die Kunden aus Desinteresse oftmals nicht erteilen werden, so dass die Banken mit der Kündigung drohen werden (dazu noch II 4.1). Damit bekommt der Kunde Steine statt Brot. Jenseits dieser rechtsökonomischen Grundthese, dass Zustimmungsfiktionsklauseln ein bewährtes Instrument der Vertragsgestaltung von Dauerschuldverhältnissen sind, reibt man sich nach Lektüre des eher schmal begründeten Grundsatzurteils mit Blick auf § 675g Abs. 2 BGB verwundert die Augen. Denn die Vorschrift scheint die Zulässigkeit einer Zustimmungsfiktion geradezu vorauszusetzen, woraus viele die AGB-rechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden Klausel geschlussfolgert haben. Auch wenn man § 675g Abs. 2 Satz 1 BGB nicht als qualifizierte Erlaubnisnorm einordnet und die Änderung von Zahlungsdiensterahmenverträgen nach § 307 Abs. 3 BGB somit nicht der Inhaltskontrolle entzieht, hätte die Vorschrift doch zumindest als gesetzliches Leitbild im Rahmen des § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB berücksichtigt werden müssen. Dieses Leitbild erfasst auch die Änderung von Banken-AGB, die sich nicht auf Zahlungsdiensterahmenverträge beziehen. Eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen, überzeugt auch deshalb nicht, da beim Massengeschäft ein im Wege der ökonomischen Analyse des Rechts auch im Rahmen der Inhaltskontrolle zu berücksichtigendes, anerkennenswertes Interesse der Bank besteht, mit ihren Kunden einheitliche AGB vereinbaren zu können. Nur so können die AGB ihre Rationalisierungsfunktion entfalten und dazu beitragen, Kosten zu senken, was letztlich auch der Gesamtheit der Kunden zugutekommt. Dieses Interesse umfasst auch die Möglichkeit, die AGB ohne allzu großen Aufwand für die Zukunft ändern zu können. Derartige rechtsökonomische Erwägungen spielen für den XI. Senat – wie bei der Rechtsprechung zu den Bearbeitungsentgelten – erneut praktisch keine Rolle. Immerhin lässt der XI. Senat eine Hintertür offen und schließt bei AGB-Änderungen anders als bei Preisänderungen hinreichend bestimmte Zustimmungsfiktionsklauseln nicht aus. Er kritisiert die fast unendliche Reichweite der bisherigen Fassung. Das klingt zwar auf den ersten Blick plausibel. Wie noch zu zeigen sein wird, dürften hinreichend bestimmte Klauseln aber regelmäßig an der ebenfalls strengen Rechtsprechung zum Transparenzgebot scheitern (dazu II 3), so dass es sich bei dieser Hintertür um ein Danaergeschenk handeln dürfte. Auf die europarechtliche Dimension und die vorangegangene Rechtsprechung des EuGH in Reaktion auf den österreichischen Obersten Gerichtshof, der Zustimmungsfiktionsklauseln bereits 2013 verworfen hatte, soll im Zusammenhang mit den gesetzgeberischen Handlungsoptionen eingegangen werden. Ein zentraler Kritikpunkt an der Begründung der Entscheidung geht zudem dahin, dass der BGH die Folgen seiner Entscheidung mit keinem Wort durchdenkt und somit auch keine Segelanweisungen für die Praxis gibt. Nicht einmal die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt sich Kunden darauf berufen können, in der Vergangenheit AGB-Änderungen nicht zugestimmt zu haben, wird explizit beantwortet. Nur im Urteilstenor poppt am Rande die Aussage auf, dass sämtliche AGB-Änderungen unwirksam sind, die seit 1977 im Wege der Zustimmungsfiktion vereinbart wurden. Warum gerade die Grenze mit dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes gezogen wird, bleibt offen. Damit entsteht für die Banken ein bunter Flickenteppich an Vertragsbeziehungen, in denen mal die AGB-Banken von 1977, sodann von 1993 bzw. von 2000, 2002, 2009, 2012, 2014 oder 2018 gelten. Da können selbst erfahrene Bankjuristen den Überblick verlieren. Dies gilt umso mehr als eine Vielzahl unterschiedlicher Sonderbedingungen hinzutreten.

II. Handlungsoptionen der Banken

1. Begrenzung der Rückwirkung?

1.1 Stillschweigende Zustimmung durch fortgesetzte Kontonutzung?

Eine Handlungsoption der Banken könnte in der Behauptung liegen, dass die geänderten AGB gleichwohl einbezogen worden sind. Schließlich habe der Kunde mit der fortgesetzten Nutzung des Kontos konkludent sein Einverständnis mit den geänderten AGB erklärt. Es ist zwar unstreitig richtig, dass auch auf Basis der Zustimmungsfiktionslösung die angebotene AGB-Änderung auch durch eine ausdrückliche Zustimmungserklärung angenommen werden kann. Auch wenn im Schrifttum bisweilen eine widerspruchslose Fortsetzung der Kontonutzung als konkludente Zustimmungserklärung gesehen wird, fehlt hierfür doch regelmäßig ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein. Denn der Kunde geht aufgrund der Zustimmungsfiktionsklausel davon aus, dass es auf seine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung gerade nicht ankommt. Nun ist das fehlende Erklärungsbewusstsein bei einer konkludenten Willenserklärung aber gerade dann entbehrlich, wenn der Erklärungsempfänger das konkludente Handeln als Willenserklärung mit einem entsprechenden Rechtsbindungswillen verstehen durfte. Allerdings wird die Bank als Erklärungsempfängerin die fortgesetzte Kontonutzung gerade nicht als Willenserklärung verstehen dürfen, so dass der objektive Tatbestand einer konkludenten Willenserklärung folglich nicht vorliegt. Denn die Bank würde sich widersprüchlich verhalten, wenn sie eine Klausel mit einer Zustimmungsfiktion verwendet, in Wirklichkeit aber auf die Wirkung der fortgesetzten Kontonutzung vertraut. Dies gilt in dieser Absolutheit aber nur für den Kunden belastende AGB-Änderungen.

Im Einzelfall kann sich durchaus etwas anderes ergeben, wenn die Bank ein berechtigtes Vertrauen entwickeln durfte, dass der Kunde mit den geänderten AGB einverstanden ist. Eine solche Ausnahme ist zum einen dann anzuerkennen, wenn die Änderungen der AGB für den Kunden ausschließlich vorteilhaft sind oder gesetzliche bzw. regulatorische Vorgaben wiederholen. Ein Beispiel für eine solche Ausnahme bildet die Änderung des ordentlichen Kündigungsrechts in Nr. 26 AGB-Sparkassen im Herbst 2015. Seither sind die Sparkassen (anders als private Banken) nicht mehr in der Lage, das Konto grundlos zu kündigen. Vielmehr bedarf die ordentliche Kündigung einer sachlichen Rechtfertigung. Damit war diese Änderung für den Kunden günstig, da die vorherige Fassung der Nr. 26 AGB-Sparkassen eine derartige Einschränkung des Kündigungsrechts der Sparkassen nicht beinhaltete. Indem der Kunde die Vertragsbeziehung fortsetzte, durfte die Sparkasse berechtigterweise davon ausgehen, dass der Kunde diese ihm günstige Regelung akzeptiert hat, auch wenn sich der Kunde dem nicht bewusst war. Denn der Kunde hatte das ordentliche Kündigungsrecht mit der erstmaligen Einbeziehung bereits akzeptiert und wird mit einer Verbesserung seiner Rechtslage einverstanden sein. Er kann sich deshalb nicht darauf berufen, dass die Sparkasse nun gar kein Kündigungsrecht mehr habe. Entsprechendes gilt für die 2009 erfolgte Änderung der Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken, als die angemessene Kündigungsfrist mit Blick auf § 675h Abs. 2 BGB für Zahlungsdiensterahmenverträge und Depotverträge auf zwei Monate fixiert wurde. Ebenfalls von einer konkludenten Zustimmung durch Fortsetzung der Kontobeziehung ist bei solchen im Wege der Zustimmungsfiktion eingeführten AGB auszugehen, die nur gesetzliche Vorgaben wiederholen. Der Kunde hätte auch ohne die Einbeziehung der geänderten AGB das Konto nicht zu den bisherigen Bedingungen fortsetzen können, da eine Gesetzesänderung ihn ebenso wie die Bank bindet.

Zum anderen kommt bei der Einführung vollständig neuer Produkte eine konkludente Änderung in Betracht, da der Kunde nicht erwarten kann, dass diese ohne Anpassung der Sonderbedingungen zur Verfügung gestellt werden, so dass in diesem Fall sogar von einem Erklärungsbewusstsein des Kunden ausgegangen werden kann. Zumindest ist insoweit im Wege der objektiven Auslegung ein berechtigtes Interesse der Bank anzuerkennen, dass das neue Produkt nur unter Einbeziehung der geänderten oder neuen Sonderbedingungen genutzt werden kann. Als Beispiel mag die Einführung von Debitkarten mit einer NFC-Funktion dienen. Insoweit sind auch die neuen Sonderbedingungen einbezogen, sofern sie wie die Haftungsregeln eine negative bzw. belastende Wirkung für den Kunden entfalten. Entsprechendes gilt für das zusätzliche Angebot, Überweisungen in Echtzeit ausführen zu können.
Denkbar ist zudem, dass bei Abschluss eines weiteren Vertrags (z.B. eines Depots neben dem bisherigen Girokonto) die AGB abermals in der dann gültigen Fassung einbezogen worden sind. Allerdings wird dies mit Blick auf Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 AGB-Banken oft unterblieben sein. Unproblematisch ist die Einbeziehung von Sonderbedingungen, die durch die Vertragserweiterung notwendig werden. Sie werden regelmäßig ausdrücklich gem. § 305 BGB einbezogen, ohne dass es eines Rückgriffs auf Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken bedürfte (vgl. vielmehr Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AGB-Banken). Eine erneute Einbeziehung der dann gültigen AGB-Banken setzt hingegen voraus, dass in dem jeweiligen Zusatzvertrag abermals auf die aktuell gültigen AGB-Banken verwiesen wird.

1.2. Anwendung der Dreijahresregel aus der Rechtsprechung zu Energielieferungsverträgen?
Prima vista sprechen – zumindest aus Sicht der Banken – gute Gründe dafür, bei Preisanpassungen die entstandene Vertragslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zu unwirksamen Preisanpassungsklauseln in Energieversorgungsunternehmen zu schließen. Bei unwirksamen Preisanpassungsklauseln wurde nicht nur der Rückforderungsanspruch durch die Regelverjährung auf drei Jahre zum Ultimo begrenzt, sondern vielmehr die These aufgestellt, dass auch die unwirksam angepassten Konditionen drei Jahre nach Zugang der ersten Abrechnung mit den angepassten Konditionen als wirksam gelten, sofern der Kunde nicht vorher widersprochen hat. Damit sollen also nicht nur Rückforderungsansprüche für die Vergangenheit begrenzt werden, sondern auch die Preishöhe als solche trotz der unwirksamen Anpassung für die Zukunft festgeschrieben werden. Maßgebliches Argument des VIII. Senats war die Wahrung des subjektiven Äquivalenzverhältnisses im beiderseitigen Interesse bei einem Dauerschuldverhältnis, das dadurch geprägt ist, dass ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.11.2021 11:14
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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