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Aktuell in der ZIP

Zur Kausalität von Testaten über Jahresabschlüsse für die Entscheidung von Anlegern - am Beispiel Wirecard (Knops, ZIP 2021, 2470)

Bei klassischen Prospekthaftungs- und Beratungshaftungsfällen hat die Rechtsprechung Werkzeuge entwickelt, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob und welchem Maße die Fehlinformationen für den Entschluss zum Erwerb oder dem Halten des Wertpapiers kausal geworden ist. Um Anleger wegen der praktisch oft erheblichen Beweisschwierigkeiten nicht massenweise rechtlos zu stellen, arbeitet sie u.a. mit Figuren des „aufklärungsrichtigen Verhaltens“ oder der „Erzeugung einer Anlagestimmung“, ist aber zugleich stets bemüht, die Haftung der Informationsverantwortlichen auf die wirklich Betroffenen einzugrenzen. Dem soll hinsichtlich der Haftung für fehlerhafte Testate der inzwischen insolventen Wirecard AG nachgegangen werden.

I. Einleitung
II. Außervertragliche Haftung von Wirtschaftsprüfern
III. Schadenszurechnung

1. Zurechnung nach der Äquivalenztheorie
a. Neu-Aktionäre
aa. Kein Schaden durch Delisting?
bb. Wertbildende Angaben
b. Bestands-Aktionäre
c. Zwischenergebnis
2. Begrenzung der Zurechnung durch die Adäquanztheorie
3. Begrenzung der Zurechnung nach dem Schutzzweck der Norm
a. Schutzbereich des § 826 BGB
b. Aktionäre und Anleger als mittelbar Betroffene
aa. Nicht bloß reflexhafte Vermögensschädigung
bb. Verwerflichkeit in Bezug auf die mittelbar Geschädigten
IV. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens - „Anlagestimmung“
1. Haftungstatbestände, insbes. § 826 BGB
2. Prüfungsgegenstände
a. Ad-hoc- und Presse-Mitteilungen
b. Prospekte
c. Jahresabschlüsse
3. Zeitliche Grenze
4. Bewertung
V. Ergebnisse


I. Einleitung

Die öffentlich zugänglichen Jahresabschlüsse und Lageberichte der Wirecard AG (im Folgenden nur AG) für die Jahre 2016 bis 2018 wurden von der beauftragten Wirtschaftsprüfergesellschaft (im Folgenden nur WP) mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen. Nachdem u.a. in der Wirtschaftspresse zunächst ab 2009, dann aber verstärkt 2017 Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der AG aufkamen und die Veröffentlichung des Geschäftsberichts für 2019 mehrmals verschoben wurde, beauftragte die AG eine weitere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Überprüfung. Diese stellte in einem Bericht, der am 27.4.2020 veröffentlicht wurde,  zahlreiche Mängel der Prüfungen durch die WP fest. Die WP selbst hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) darüber erst am 16./17.6.2020 informiert. Nachdem die AG keinen testierten Geschäftsbericht vorlegen konnte, hat sie als erster DAX-Konzern überhaupt, der zwischenzeitlich einen Börsenwert von mehr als 12 Mrd. € hatte,  am 25.6.2020 Insolvenz angemeldet.  Seitdem wird die WP von Aktionären und Anlegern auf Zahlung von Schadensersatz vor allem aus § 826 BGB in Anspruch genommen. Fraglich ist, ob hinsichtlich der fehlerhaften Testate der WP eine Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens angenommen werden kann, diese also kausal für die Kaufentscheidung sind oder die Anleger im Einzelnen darlegen und beweisen müssen, dass sie eben auf die Richtigkeit dieser vertraut haben und deshalb die Aktien der AG erworben bzw. gehalten haben.

II. Außervertragliche Haftung von Wirtschaftsprüfern
Eine Haftung von Experten für sachverständige Äußerungen, sei es als Gutachten, Testat, Empfehlung oder gar bloßer Auskunft gegenüber Dritten, also solchen Personen, die ihnen keinen Auftrag erteilt haben und denen sie mithin nicht auf vertraglicher oder vertragsähnlicher Grundlage für Fehler haften, kann nun unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen. Zwar nehmen solche Experten kraft ihrer beruflichen Stellung ein besonderes Vertrauen für sich auch gegenüber Dritten in Anspruch. Für Vermögensschäden derer, die auf die Äußerungen des Experten vertrauen und in der Folge für sie nachteilige Vermögensdispositionen getroffen haben, kann es abseits konkludent geschlossener Auskunftsverträge, quasi-vertraglichen Konstruktionen nach Art des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte aber nur eine begrenzte Haftung geben. Dies ist allein schon deswegen überzeugend, weil eine schrankenlose Einstandspflicht gegenüber jedermann dazu führen würde, dass niemand mehr solche Aufgaben übernehmen würde oder nur zu so hohen Kosten (auch für dafür nötige Versicherungen), dass die Expertise nicht mehr oder nur noch selten abgefragt werden würde. Damit bestünde auch die Gefahr, dass Pflichtprüfungen möglichst schmal ausfallen, ganz unterlassen werden oder bei ordentlicher Beauftragung für die Unternehmen zu einer großen finanziellen Last werden, die sie im internationalen Wettbewerb benachteiligt. Hinzu kommt, wie vollkommen zurecht betont wird, dass eine Haftungsvermeidung zu übermäßigen Sorgfaltsanstrengungen bei der Publikation von Informationen führen würde und schließlich zur Folge haben könnte, den Geschädigten faktisch zu einem Versicherungsschutz gegenüber Vermögenseinbußen zu verhelfen, für den sie dem Informationserzeuger keinerlei Gegenleistung erbracht haben.

Um auf der anderen Seite die Experten gerade auch für den Bereich der Pflichtprüfungen von Unternehmen aber selbstverständlich auch nicht von jeglicher Haftung freizustellen, ist die Haftung des Abschlussprüfers in § 323 HGB geregelt und begrenzt – zum einen personal zugunsten der Kapitalgesellschaft und verbundenen Unternehmen, zum anderen gegenständlich der Höhe nach und zwar gerade auch für vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln. Dieses vom Gesetzgeber bewusst vorgesehene – und in Anbetracht des Wirecard-Skandals auch nachgeschärfte – Regelungskonzept kann und darf nicht mit einer uferlosen deliktischen Haftung des Abschlussprüfers ausgehebelt oder praktisch beseitigt werden. Besonders zu betonen ist allerdings zugleich, dass der Gesetzgeber aber auch mit dem 2021 geschaffenen Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) nicht angetastet hat, dass ein Abschlussprüfer geschädigten Anlegern gegenüber grundsätzlich für vorsätzliches Verhalten durch die Verletzung straf- und bußgeldrechtlicher Schutzgesetze gem. § 823 Abs. 2 BGB oder bei Sittenwidrigkeit gem. § 826 BGB haftet. Für geschädigte Anleger ist die Haftung von Wirtschaftsprüfern wegen fehlerhafter Prüfertätigkeit nach § 826 BGB oft die einzige Option.
Wie sich aus den Materialien ergibt, war § 826 BGB für diese Fälle vom historischen Gesetzgeber zwar nicht vorgesehen. Erst die Rechtsprechung hat die Haftung des Abschlussprüfers nach dieser Norm etabliert, aber eben notwendigerweise auch begrenzt. Bereits hinsichtlich der Erfüllung des objektiven als auch des subjektiven Tatbestandes sind hier – verglichen mit einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB – hohe Hürden zu überwinden, die gleichsam als zwei Filter gegen eine unerwünscht uferlose Haftung wirken. Neben der Erfüllung dieser haftungsbegründenden Voraussetzungen ist die Kausalität der fehlerhaften Abschlussprüfung für die Anlageentscheidung Voraussetzung für den Anspruch auf Schadensersatz. Der vom Anleger zu erbringende Nachweis, dass die Anlageentscheidung gerade auf der fehlerhaften Kapitalmarktinformation beruht,  lässt sich regelmäßig aber nur sehr schwer führen,  ist also eine weitere hohe Hürde, um zu einer Haftung des Abschlussprüfers zu kommen; eine vierte Schranke bilden die teils strengen Anforderungen an den Umfang und Nachweis des ersatzfähigen Schadens. Das Kausalitätserfordernis muss angesichts dieser massiven Einschränkungen mit Maß und Mitte gehandhabt werden, weil sonst eine Verantwortungslosigkeit gerade derer droht, die sich in besonderes verwerflicher Weise über Handlungsstandards hinweggesetzt haben. Anderenfalls würde – so wird zurecht betont  – eine Beschränkung der Haftung für Fehlinformationen auf einen eng verstandenen § 826 BGB die Anreize zur Sorgfalt bei der Diffusion von Informationen übermäßig abschwächen und bestimmte Dienstleistungen, wie etwa Wertgutachten, de facto jeder Haftungsdrohung entziehen.

III. Schadenszurechnung
Hinsichtlich der Kausalität zwischen einem von einem Wirtschaftsprüfer fehlerhaft erteilten Testat eines Jahresabschlusses einer Aktiengesellschaft einerseits und der Halte- oder Kaufentscheidung eines Anlegers über Aktien der AG andererseits ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die ansonsten übliche Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.12.2021 10:29
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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