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Der Anspruch des ausgeschiedenen GbR-Gesellschafters auf Aufstellung einer "Abschichtungsbilanz" (Kopp, ZIP 2022, 875)
Der Anspruch des aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: GbR) ausgeschiedenen Gesellschafters auf Aufstellung einer sogenannten „Abschichtungsbilanz“ zur Berechnung seines Abfindungsguthabens bedarf nicht erst vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom 10.8.2021 (MoPeG, BGBl. I 2021, 3436) einer bislang noch ausstehenden präzisen schuldrechtlich-systematischen Einordnung. Der Beitrag zeigt ausgehend von den gesellschaftsrechtlichen Grundlagen, dass der Anspruch des Ausgeschiedenen sich entgegen der h.M. allein gegen die rechtsfähige GbR als Trägerin des Gesellschaftsvermögens richtet, und dass die verbliebenen Gesellschafter nicht persönlich in Anspruch genommen werden können. Den ausgeschiedenen Gesellschafter trifft grundsätzlich bei der Bilanzaufstellung keine Mitwirkungspflicht. Nach hier vertretener Ansicht kann dieser vielmehr, falls ihn gegenüber der GbR eine Pflicht zum Verlustausgleich trifft, seinen Anspruch auf Bilanzaufstellung dem Verlustausgleichsanspruch der GbR gem. § 273 Abs. 1 BGB einredeweise entgegenhalten. Der Ausgeschiedene ist nicht vorleistungspflichtig und kann entgegen der ganz h.M. insbesondere nicht vor Bilanzaufstellung auf einen „Mindestbetrag“ in Anspruch genommen werden. Die Untersuchung legt sowohl die aktuell geltenden Vorschriften (§§ 705 ff. BGB a.F.) als auch die ab dem 1.1.2024 geltenden Regelungen des MoPeG (§§ 705 BGB n.F.) zugrunde.
I. Einführung
II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen
1. Die GbR als Rechtsträger
2. Ausscheiden eines Gesellschafters bei fortbestehender GbR
3. Rechtsfolgen des Ausscheidens
III. Abfindungsanspruch des Ausgeschiedenen gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F./§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F.
1. Anspruchsgegner
2. Entstehen und Fälligkeit des Anspruchs
IV. Verlustausgleichsanspruch der GbR gem. § 739 BGB a.F./§ 728a BGB n.F.
V. Anspruch des Ausgeschiedenen auf Aufstellung einer Abschichtungsbilanz
1. Anspruchsgegenstand
2. Anspruchsgegner
3. Mitwirkung des Ausgeschiedenen
4. Entstehen und Fälligkeit des Anspruchs
VI. Zurückbehaltungsrecht des Ausgeschiedenen bei Verlustausgleichsanspruch gem. § 273 Abs. 1 BGB
1. Voraussetzungen
2. Rechtsfolgen
3. Ausnahme: Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB)
3.1 „Feststehender Mindestbetrag“
3.2 Widersprüchliches Verhalten
VII. Resümee
I. Einführung
Scheidet ein Gesellschafter, etwa infolge einer Kündigung gem. §§ 723 f. BGB a.F., aus einer kraft Fortsetzungsklausel i.S.d. § 736 Abs. 1 BGB a.F. fortbestehenden GbR aus, so verliert er seinen Gesellschaftsanteil. § 723 BGB n.F. geht hingegen auch ohne Bestehen einer Fortsetzungsklausel von einer fortgesetzten Gesellschaft unter Ausscheiden des Gesellschafters als gesetzlichem Regelfall aus. Der Ausgeschiedene hat grundsätzlich einen Anspruch auf Abfindung für den Verlust seines Gesellschaftsanteils gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F./§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. Für einen entsprechenden Fehlbetrag hat der ausgeschiedene Gesellschafter hingegen nach § 739 BGB a.F./§ 728a BGB n.F. aufzukommen. Zur Ermittlung seines Abfindungsguthabens oder des Fehlbetrags ist eine Abrechnung, nach herkömmlicher Vorstellung in Bilanzform (§§ 242 ff. HGB), erforderlich, weshalb dieses Rechenwerk gemeinhin auch als Abschichtungsbilanz oder Abfindungsbilanz bezeichnet wird.
Der Anspruch auf Erstellung einer Abschichtungsbilanz findet, abgesehen von Bewertungsfragen, oftmals nur beiläufig Beachtung. Dementsprechend ist seine präzise rechtliche Rolle innerhalb des nachvertraglichen Abwicklungsverhältnisses in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht hinreichend geklärt. Im Folgenden soll daher untersucht werden, wie der Anspruch auf Aufstellung einer Abschichtungsbilanz im Anspruchsgeflecht zwischen den möglichen Fixpunkten „Gesellschaft“, „verbliebene Gesellschafter“ und „ausgeschiedener Gesellschafter“ zu verorten ist und welche Folgen hieraus erwachsen. In diesem Zuge sind grundsätzliche Überlegungen zum Anspruch auf Bilanzaufstellung unter Einbeziehung des Abfindungs- sowie des Verlustausgleichsanspruchs anzustellen.
II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen
Da eine rechtsfähige Gesellschaft als Gläubiger und Schuldner von Ansprüchen innerhalb des Abwicklungsverhältnisses nach Ausscheiden eines Gesellschafters in Betracht kommt, ist zunächst die Rechtsträgerschaft der GbR nach altem und neuem Recht näher zu beleuchten (s.u. 1), bevor auf die einschlägigen Regelungen der §§ 738, 739 BGB a.F./§§ 728, 728a BGB n.F. eingegangen wird, welche die jeweiligen Ansprüche im Zuge der Abwicklung normieren (s.u. 2 und 3).
1. Die GbR als Rechtsträger
Der historische Gesetzgeber ist bei Schaffung der §§ 705 ff. BGB a.F. nicht von der Gesellschaft als Rechtssubjekt ausgegangen. Ebenso entsprach es jahrzehntelang der herrschenden Meinung, dass der GbR keine Rechtsträgerschaft zukomme. Allerdings hat in der Literatur die Auffassung, dass die ZIP 2022, 876GbR gegenüber ihren Gesellschaftern rechtlich verselbständigt sei, im Laufe der Zeit die Oberhand gewonnen. Auch die Rechtsprechung hat nach einigem Zögern die Rechtsfähigkeit der (Außen-)GbR anerkannt, soweit diese als Teilnehmer am Rechtsverkehr eigene (vertragliche) Rechte und Pflichten begründet. Neuere gesetzliche Regelungen, wie etwa § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG a.F., § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO a.F. sowie § 14 BGB, zeigen, dass auch der Gesetzgeber bereits vor der Neufassung des Rechts der GbR durch das MoPeG von einer Rechtsfähigkeit der Gesellschaft ausgegangen ist. § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB n.F. sieht nunmehr die Rechtsfähigkeit der GbR ausdrücklich vor, wenn diese nach dem gemeinsamen Willen der Gesellschafter am Rechtsverkehr teilnehmen soll („rechtsfähige Gesellschaft“). Bei Gesellschaften, deren Gegenstand der Betrieb eines Unternehmens unter gemeinschaftlichem Namen ist, wird gem. § 705 Abs. 3 BGB n.F. die Rechtsfähigkeit i.S.d. § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB n.F. vermutet. Mit dem Gesetzeswortlaut der seit Inkrafttreten des BGB weitgehend unverändert gebliebenen §§ 705 ff. BGB a.F. ist eine Rechtsfähigkeit der GbR allerdings nicht an allen Stellen in Einklang zu bringen. So definiert etwa § 718 Abs. 1 BGB a.F. das Gesellschaftsvermögen als „gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter“. Träger des Gesellschaftsvermögens ist indes nach neuerem Verständnis der §§ 705 ff. BGB a.F. die analog § 124 Abs. 1 HGB a.F. rechtsfähige – und damit auch vermögensfähige – GbR selbst. Die allgemeine Ansicht versucht, beides in Einklang zu bringen, indem sie annimmt, dass das Gesetz, wenn es in den entsprechenden Normen auf die Gesellschafter Bezug nimmt, diese in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit meint und hiermit die rechtsfähige Personengesellschaft bezeichnet. Der dem § 718 BGB a.F. entsprechende § 713 BGB n.F. definiert hingegen das Gesellschaftsvermögen als „Vermögen der Gesellschaft“; das Gesamthandsprinzip wird vom Reformgesetzgeber aufgegeben.
Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die GbR, welche als solche am Rechtsverkehr teilnimmt und gem. § 124 Abs. 1 HGB a.F. analog/§ 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB n.F. fähig ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (sog. Außengesellschaft, von § 705 Abs. 2 Alt. 1 BGB n.F. als „rechtsfähige Gesellschaft“ bezeichnet). Vor dem Hintergrund der unumkehrbaren Entwicklung hin zur GbR als einem von den Gesellschaftern zu unterscheidenden Rechtsträger, der als potentieller Gläubiger und Schuldner in das Abwicklungsverhältnis nach Ausscheiden eines Gesellschafters involviert ist, bedarf der Anspruch auf Aufstellung einer Abschichtungsbilanz insbesondere einer präzisen schuldrechtlich-systematischen Einordnung.
2. Ausscheiden eines Gesellschafters bei fortbestehender GbR
Der Abfindungsanspruch gem. § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F./§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. setzt das ersatzlose Ausscheiden des Gesellschafters aus einer fortbestehenden Gesellschaft voraus. Nach dem gesetzlichen Regelfall der §§ 723 ff. BGB a.F. wird die GbR als solche indes durch in der Person des Gesellschafters liegende Gründe aufgelöst, namentlich durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung des Gesellschafters (§§ 723, 724 BGB a.F.), Tod eines Gesellschafters (§ 727 BGB a.F.) sowie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters (§ 728 Abs. 2 BGB a.F.). Wenn allerdings im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist, dass die GbR in diesen Fällen unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen soll (sog. Fortsetzungsklausel), so scheidet...
