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EuGH, C 307/22: Schlussanträge des Generalanwalts vom 20.4.2023

Auskunft über personenbezogene Daten zu datenschutzfremden Zwecken

Können betroffene Personen aufgrund der DSGVO Auskunft über ihre personenbezogenen Daten auch für datenschutzfremde Zwecke beantragen? Können die Mitgliedstaaten das Recht auf Erhalt einer Kopie der Daten beschränken, indem sie den betroffenen Personen in bestimmten Fällen die Kosten auferlegen, die dem Verantwortlichen für die Erstellung der Kopien entstehen? Müssen die Verantwortlichen Kopien aller Dokumente, die personenbezogene Daten enthalten, zur Verfügung stellen oder können sie die von den betroffenen Personen angeforderten Daten zusammenstellen? Zu diesen Fragen, die der BGH in einem Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfen hat, bei dem es um die Möglichkeit für einen Patienten geht, unentgeltlich Kopien der in seiner Patientenakte enthaltenen Dokumente zu erhalten, hat der Generalanwalt am EuGH seine Schlussanträge gestellt.  

Der Sachverhalt:
DW (der Kläger des Ausgangsverfahrens) wurde von FT (der Beklagten des Ausgangsverfahrens) zahnärztlich behandelt. DW vermutete einen Behandlungsfehler und forderte daher von FT, ihm unentgeltlich eine Kopie aller ihn betreffenden Krankenunterlagen, die sich in ihrem Besitz befänden, auszuhändigen. FT war der Auffassung, sie müsse dem Patienten eine Kopie der Patientenakte nur gegen Kostenerstattung zur Verfügung stellen.

DW klagte gegen FT vor dem Amtsgericht (Deutschland), das der Klage stattgab. Das Landgericht (Deutschland) wies die von FT eingelegte Berufung mit der Begründung zurück, der sich aus Art. 15 DSGVO ergebende Anspruch von DW sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass er die Auskunft zur Prüfung arzthaftungsrechtlicher Ansprüche begehre.

Mit ihrer Revision vor dem BGH beantragt FT, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage von DW abzuweisen. Nach Auffassung des BGH hängt der Erfolg der Revision davon ab, ob das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung in der Sache einen Rechtsfehler begangen hat, indem es angenommen hat, dass die Klage – wie von DW geltend gemacht – nach den Bestimmungen der DSGVO begründet sei.

Der BGH weist darauf hin, dass FT nach nationalem Recht nicht verpflichtet sei, DW unentgeltlich Kopien der ihn betreffenden Krankenunterlagen zur Verfügung zu stellen. Der Anspruch von DW auf unentgeltliche Zurverfügungstellung könnte sich jedoch – entsprechend der Auffassung des Landgerichts – unmittelbar aus Art. 15 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 5 DSGVO ergeben. Da nach Ansicht des BGH Zweifel an der richtigen Auslegung dieser Bestimmungen bestehen, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.       Ist Art. 15 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 5 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der Verantwortliche (hier: der behandelnde Arzt) nicht verpflichtet ist, dem Betroffenen (hier: dem Patienten) eine erste Kopie seiner vom Verantwortlichen verarbeiteten personenbezogenen Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, wenn der Betroffene die Kopie nicht zur Verfolgung der im 63. Erwägungsgrund Satz 1 der DSGVO genannten Zwecke begehrt, sich der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, sondern einen anderen – datenschutzfremden, aber legitimen – Zweck (hier: die Prüfung des Bestehens arzthaftungsrechtlicher Ansprüche) verfolgt?

2. a)       Falls die Frage 1 verneint wird: Kommt als Beschränkung des sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 5 DSGVO ergebenden Rechts auf eine unentgeltliche Zurverfügungstellung einer Kopie der vom Verantwortlichen verarbeiteten personenbezogenen Daten nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO auch eine nationale Vorschrift eines Mitgliedstaats in Betracht, die vor dem Inkrafttreten der DSGVO erlassen wurde?

b)       Falls die Frage 2a bejaht wird: Ist Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO dahingehend auszulegen, dass die dort genannten Rechte und Freiheiten anderer Personen auch deren Interesse an der Entlastung von mit der Erteilung einer Datenkopie nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO verbundenen Kosten und sonstigem durch die Zurverfügungstellung der Kopie verursachten Aufwand umfassen?

c)       Falls die Frage 2b bejaht wird: Kommt als Beschränkung der sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 5 DSGVO ergebenden Pflichten und Rechte nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO eine nationale Regelung in Betracht, die im Arzt-Patienten-Verhältnis bei Herausgabe einer Kopie der personenbezogenen Daten des Patienten aus der Patientenakte durch den Arzt an den Patienten stets und unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls einen Kostenerstattungsanspruch des Arztes gegen den Patienten vorsieht?

3.       Falls die Frage 1 verneint und die Fragen 2a, 2b oder 2c verneint werden: Umfasst der Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO im Arzt-Patienten-Verhältnis einen Anspruch auf Überlassung von Kopien aller die personenbezogenen Daten des Patienten enthaltenden Teile der Patientenakte oder ist er nur auf Herausgabe einer Kopie der personenbezogenen Daten des Patienten als solche gerichtet, wobei es dem datenverarbeitenden Arzt überlassen bleibt, in welcher Weise er dem betroffenen Patienten die Daten zusammenstellt?

 

Schlussanträge des Generalanwalts:
Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof vor, die vom BGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass der Verantwortliche verpflichtet ist, der betroffenen Person eine Kopie ihrer personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen, und zwar auch dann, wenn die betroffene Person die Kopie nicht für die im 63. Erwägungsgrund der DSGVO genannten Zwecke, sondern für einen anderen, datenschutzfremden Zweck beantragt.

Eine nationale Regelung, die von Patienten, die Kopien ihrer in Patientenakten enthaltenen personenbezogenen Daten beantragen, verlangt, dass sie den Ärzten die entstandenen Kosten erstatten, ist nach Art. 23 Abs. 1 DSGVO zulässig, sofern die Beschränkung des Auskunftsrechts unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Hinblick auf die Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der unternehmerischen Freiheit der Ärzte erforderlich und verhältnismäßig ist. Das nationale Gericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Kosten, deren Erstattung die Ärzte von den Patienten verlangen können, strikt auf die tatsächlich anfallenden Kosten beschränkt sind.

Der Ausdruck „eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind“, in Art. 15 Abs. 3 DSGVO kann im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses nicht dahin ausgelegt werden, dass er der betroffenen Person ein allgemeines Recht darauf gewährt, eine vollständige Kopie aller in ihrer Patientenakte enthaltenen Dokumente zu erhalten. Jedoch hat der Verantwortliche der betroffenen Person bestimmte Dokumente teilweise oder vollständig in Kopie zur Verfügung zu stellen, wenn dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die übermittelten Daten verständlich sind und dass die betroffene Person in der Lage ist, zu überprüfen, ob die übermittelten Daten vollständig und richtig sind.
 

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.04.2023 12:18
Quelle: EuGH online

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