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BGH v. 9.3.2023 - IX ZR 90/22

Zur Begründung einer Masseverbindlichkeit durch schuldumschaffende Vereinbarung zwischen Gläubiger und Insolvenzverwalter über Insolvenzforderung

Eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Insolvenzverwalter über eine Insolvenzforderung kann nur dann eine Masseverbindlichkeit begründen, wenn es sich um eine schuldumschaffende Vereinbarung handelt oder die Vereinbarung zweifelsfrei einen Anspruch auf eine Vorwegbefriedigung aus der Insolvenzmasse begründet.

Der Sachverhalt:
Vor dem 26.9.2019 buchten die Kläger bei der Beklagten Flüge von Frankfurt a.M. nach Kanada und von Kanada nach Frankfurt a.M., die im September 2020 stattfinden sollten. Sie bezahlten insgesamt rd. 3.300 €. Am 1.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Die von den Klägern gebuchten Flüge wurden jedoch am 18.7.2020 wegen der Corona-Pandemie annulliert. Die Beklagte bot den Klägern einen Reisegutschein an, den die Kläger ablehnten. Am 24.7.2020 erstellte die Beklagte daraufhin eine Storno-Rechnung, in der es hieß, die Flugscheinkosten würden dem Konto gutgeschrieben, von dem aus die Zahlungen entrichtet worden seien. Zu einer Rückerstattung kam es nicht.

Am 26.11.2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten aufgehoben, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war. Der Insolvenzplan sieht eine Quote von 0,1 % und Zusatzquoten vor. Ansprüche unter 10 € sind erst mit der Fälligkeit der Zusatzquote zu zahlen. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangen die Kläger die Erstattung der Flugscheinkosten nebst Zinsen.

Das AG wies die Klage ab; das LG gab ihr antragsgemäß statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des LG auf und wies die Berufung der Kläger gegen das Urteil des AG zurück.

Die Gründe:
Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs gem. Art. 5 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. a FluggastrechteVO sind erfüllt. Der von den Klägern gebuchte Flug ist annulliert worden. Die Ansprüche der Kläger können jedoch gem. § 254 Abs. 1, § 254b InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur nach Maßgabe des Insolvenzplans geltend gemacht werden.

Ob ein Anspruch eine Insolvenzforderung oder eine Masseverbindlichkeit ist, richtet sich zunächst nach den Vorschriften der InsO, insbesondere nach den §§ 38, 54 f InsO. Ansprüche, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren, sind gem. § 38 InsO Insolvenzforderungen, die nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung verfolgt werden können (§ 87 InsO). Die Beförderungsansprüche der Kläger sind vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten begründet worden und waren damit nur Insolvenzforderungen. Die Beklagte hat sie nicht erfüllt. Sekundäransprüche, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgen, begründen keine Masseverbindlichkeiten. Die Fortsetzung des Flugbetriebs wertete die Insolvenzforderung der Kläger weder für sich genommen noch in Verbindung mit etwaigen Erklärungen der Beklagten, der Flugbetrieb werde fortgesetzt, zu Masseforderungen auf.

Die Beförderungsansprüche der Kläger und die damit verbundenen Rechte der Kläger aus der bestätigten Buchung sind auch nicht infolge einer Vereinbarung der Parteien nachträglich zu Masseverbindlichkeiten geworden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO). Grundsätzlich kann eine Insolvenzforderung auch durch eine Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Insolvenzgläubiger zu einer Masseverbindlichkeit werden. Im Insolvenzverfahren kommt eine solche Vereinbarung, mit der Insolvenzforderungen zu Masseverbindlichkeiten umgestaltet oder statt einer Insolvenzforderung eine Masseverbindlichkeit begründet wird, nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Sie setzt wegen der einschneidenden Wirkungen voraus, dass die Anforderungen an eine Novation erfüllt sind oder die Vereinbarung in einer der Novation vergleichbaren Weise zur Begründung einer Masseverbindlichkeit führt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass eine schuldumschaffend wirkende Novation den Willen der Parteien voraussetzt, das alte Schuldverhältnis durch ein neues zu ersetzen und damit zugleich das alte Schuldverhältnis aufzuheben, so dass die Beteiligten nicht mehr darauf zurückgreifen können. Der dahingehende Vertragswille muss deutlich erkennbar zum Ausdruck kommen.

Entsprechendes gilt für eine Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem eigenverwaltenden Schuldner oder dem Insolvenzverwalter, dass eine Insolvenzforderung zu einer Masseverbindlichkeit umgestaltet wird. Im Insolvenzverfahren hat eine entsprechende Vereinbarung Auswirkungen nicht nur für die Parteien der schuldumschaffenden Vereinbarung, sondern auch für die übrigen Beteiligten des Insolvenzverfahrens. Änderungen einer Insolvenzforderung zu einer Masseverbindlichkeit kommen nur bei Rechtshandlungen in Betracht, welche die Qualität einer Schuldumschaffung (Novation) erreichen. Die getroffenen Vereinbarungen dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass eine (Neu-)Begründung der Verbindlichkeit als nunmehr gemäß § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigende Masseverbindlichkeit gewollt ist.

Ob die Parteien eine diesen Maßstäben entsprechende Vereinbarung getroffen haben, ist in Zweifelsfällen durch Auslegung der Vereinbarungen zu ermitteln, bei welcher neben deren Wortlaut die gesamten Fallumstände zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen einer solchen Vereinbarung nicht erfüllt. Die für die tatsächlichen Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtigen Kläger haben keine Tatsachen vorgetragen und das LG hat keine Feststellungen getroffen, welche den Schluss auf eine hinreichende, eine neue Masseverbindlichkeit begründende Vereinbarung der Parteien zulassen.

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Holger Altmeppen, ZIP 2023, 721
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.04.2023 12:01
Quelle: BGH online

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