Aktuell in der ZIP
Die GmbH mit gebundenem Vermögen (Schockenhoff, ZIP 2023, 1825)
Von einer aus 600 Unternehmern und Juristen bestehenden Initiative wird unter dem Etikett „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ eine neue Rechtsformvariante zur GmbH vorgeschlagen. Der Kern des Modells lautet, dass die Gesellschafter keine Gewinnanteile mehr bekommen und auch keine sonstigen Vermögensrechte an der GmbH mehr haben sollen. Gewinne sollen im Unternehmen bleiben und im Interesse der Fortführung des Unternehmens als „Fähigkeiten- und Wertefamilie“ reinvestiert werden. Die amtierende Koalition hat diesen Vorschlag in ihre rechtspolitische Agenda aufgenommen. Im Anschluss an grundsätzliche Kritik aus der Rechtswissenschaft haben die Initiatoren ihr Modell überarbeitet und ergänzt. Der Verfasser analysiert und würdigt kritisch den aktualisierten Reformvorschlag.
I. Einleitung
II. Das Konzept und der Gesetzentwurf für eine GmgV
III. Juristische Kritikpunkte
1. Ewigkeitsbindung und Verbandsautonomie
2. Aufsicht und Governance in der GmgV
a) Die tatsächlichen Hintergrundannahmen
b) Juristische Gesichtspunkte
3. Umgehungsgefahren
4. Verstoß gegen EU-Recht?
IV. Ist das Konzept der GmgV schlüssig?
V. Fazit
I. Einleitung
Auf Initiative einer Gruppe vorwiegend junger Unternehmer und mit Unterstützung bekannter Wirtschaftsexperten hatten im Jahr 2020 fünf Rechtsprofessoren den Entwurf eines Gesetzes für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Verantwortungseigentum („GmbH-VE“) vorgelegt.
Verantwortungseigentum im Sinne dieses Entwurfs bedeutet, dass die Gesellschafter keine Gewinnanteile erhalten und keinen Veräußerungs- oder Liquidationsgewinn erzielen dürfen („Asset-Lock“). Die Stimmrechte sollen bei den Gesellschaftern bleiben, das Unternehmen soll gewinnorientiert am Markt agieren, aber die Gewinne sollen im Unternehmen gebunden sein. Auf diese Weise soll „unabhängig von genetischer Familie und Vermögen“ innerhalb der engen Gemeinschaft der Gesellschafter eine „Fähigkeiten- und Wertefamilie“ geschaffen werden. Die Gesellschafter sollen sich als „intrinsisch motivierte“ Treuhänder verstehen, die das Unternehmen über Generationen hinweg erhalten und entwickeln.
Die Initiative hat von namhaften Politikern, Ökonomen und Unternehmern Unterstützung, aber auch fundamentale Kritik erfahren. Das Verantwortungseigentum vermeide das „Buddenbrook-Syndrom“, es stärke die Selbständigkeit von Unternehmen und diene damit dem Erhalt von Steuersubjekten in Deutschland, so die Befürworter. Es brauche keine neue Rechtsform, Familienunternehmer gingen stets verantwortlich mit dem Unternehmen um, das Modell des Verantwortungs- ZIP 2023, 1826eigentums mache sie zu bloßen Verwaltern ihres Lebenswerkes, heißt es aus den Reihen der Gegner. Die Hoffnung, dass jemand das wertlose Erbe aus Idealismus pflege, sei eine Utopie. Existentielle Anreizmechanismen der marktwirtschaftlichen Ordnung würden ausgeschaltet.
Die seit Januar 2022 amtierende Ampelkoalition hat die Initiative aufgegriffen und im Koalitionsvertrag vom 7.12.2021 die Absicht aufgenommen, für Unternehmen mit gebundenem Vermögen eine neue geeignete Rechtsgrundlage zu schaffen, die Steuersparkonstruktionen ausschließt.
Nachdem das Konzept und der Gesetzesentwurf für eine GmbH-VE in der rechtswissenschaftlichen Literatur zwar vereinzelt begrüßt, überwiegend jedoch kritisiert worden war, legten die Verfasser des GmbH-VE im Februar 2022 einen überarbeiteten Gesetzesentwurf für eine nunmehr als „GmbH mit gebundenem Vermögen“ bezeichnete Gesellschaft („GmbH-gebV“, kurz „GmgV“, der überarbeitete Gesetzesentwurf im Folgenden auch „GmgVG-E“ genannt) vor, mit dem sie der Kritik aus der juristischen Fachliteratur Rechnung tragen wollten.
Auch danach verstummte die Kritik nicht. Am 28.9.2022 veröffentlichte der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen ein Gutachten, mit dem die vorgeschlagene neue Rechtsform wegen gewichtiger Governance-Probleme, rechtspolitisch problematischer Freiheitsbeschränkungen und drohender Besteuerungslücken abgelehnt wurde; zudem biete die bestehende Rechtsordnung bereits ausreichend Raum für verantwortungsvolles Unternehmertum. Die Initiatoren der GmgV sind dieser Kritik in einer ausführlichen Stellungnahme entgegengetreten und haben im März 2023 den wesentlichen Inhalt ihres Konzepts in einem Eckpunktepapier zusammengefasst.
Deshalb ist es an der Zeit, das Modell der GmgV nochmals unter Berücksichtigung der zahlreichen Stimmen zu würdigen. Dabei sollen die in den Medien und der Fachliteratur vorgebrachten Argumente pro und contra 19 nicht im Einzelnen aufgegriffen und gewürdigt werden. Der Schwerpunkt der nachfolgenden Ausführungen soll auf der Frage liegen, ob im GmgVG-E die Schwächen des ursprünglichen Gesetzesentwurfs beseitigt wurden sowie auf der rechtspolitisch wie juristisch umstrittenen Frage, ob das Konzept für eine GmgV schlüssig und der aktuelle Gesetzesentwurf geeignet ist, dieses Konzept umzusetzen. Erweist sich bereits die gegen das Konzept gerichtete Kritik als durchgreifend, würde es sich nicht lohnen, das Gesetzgebungsverfahren durchzuführen. Wäre die Kritik am Konzept unberechtigt, könnte das Projekt weiterverfolgt und der Blick auf die Beseitigung etwaig verbleibender Schwächen des GmgVG-E gerichtet werden.
II. Das Konzept und der Gesetzentwurf für eine GmgV
Die GmgV soll als Rechtsformvariante der GmbH geschaffen werden. Zu diesem Zweck soll im Anschluss an den Abschnitt 5 des GmbHG ein neuer Abschnitt 6 mit der Überschrift „Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit gebundenem Vermögen“ eingefügt werden. Dieser Abschnitt 6 soll in den §§ 77a bis 77p GmgVG-E die Besonderheiten der GmgV gegenüber der regulären GmbH enthalten.
An erster Stelle ist die dauerhafte Vermögensbindung zu nennen, die nicht aufgehoben oder abgeändert werden kann (§ 77b Abs. 1 Satz 2 GmgVG-E), d.h. unter Ewigkeitsgarantie gestellt werden soll. Die Gesellschafter sollen weder einen Anspruch auf Gewinnbeteiligung noch auf Beteiligung am Liquidationserlös haben (§ 77f Abs. 2 und § 77l Abs. 1 GmgVG-E). Gewinne müssen zwingend thesauriert oder reinvestiert werden (§ 77f Abs. 2 Satz 2 und 3 GmgVG-E). Gesellschafter der GmgV können nur natürliche Personen, andere Gesellschaften mit gebundenen Vermögen oder Rechtsträger mit vergleichbarer dauerhafter Vermögensbindung sein. Die Erben eines Gesellschafters können innerhalb von sechs Monaten nach Kenntnis vom Erbfall ausgeschlossen werden; in diesem Fall erwirbt die GmgV ....
