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Die Problematik sog. negativer Zinsen bei Schuldscheindarlehen mit Zinsgleitklausel - Zugleich eine Anmerkung zu BGH v. 9.5.2023 – XI ZR 544/21 , ZIP 2023, 1229 (Herresthal, ZIP 2023, 1873)
Im Nachgang der Niedrig- und Negativzinsphase ist u.a. noch umstritten, ob bei Schuldscheindarlehen, deren Zinsgleitklausel für einen bestimmten Zeitraum in den negativen Bereich wechselte, sich die Zahlungspflicht als Folge umgekehrt hat. In diesem Fall hätte der Darlehensgeber für diesen Zeitraum sog. Negativzinsen an den Darlehensnehmer zu entrichten. Der BGH hat dies nunmehr verneint. Der nachfolgende Beitrag setzt sich mit der zentralen Entscheidung des BGH hierzu auseinander und zeigt anhand dieser zugleich ein Defizit des Zukunftsfinanzierungsgesetzes (ZuFinG) auf.
I. Einleitung
II. Die Auslegung der AGB-Klausel als Einfallstor für richterliche Maßstäbe
1. Die faktische Unausweichlichkeit des Vorliegens von AGB
2. Im Dreischritt zum heteronomen Vertragsinhalt in der B2B-Konstellation
3. Die Reformbedürftigkeit der AGB-Kontrolle im B2B-Bereich und das Defizit des ZuFinG
a) Das Ausweichen auf andere Rechtsordnungen im Finanzierungsbereich
b) Das Leerlaufen der vom ZuFinG vorgesehenen Änderung der AGB-Kontrolle
c) Die Erstreckung einer neuen Bereichsausnahme auf die §§ 305 ff. BGB
III. Die Möglichkeit einer vertraglich vereinbarten Umkehr der Zahlungspflicht
1. Die unterbliebene geltungszeitliche Aktualisierung des gesetzlichen Vertragsleitbildes
2. Die unzutreffende Ausblendung der Umstände des Vertragsschlusses und des Vertragszwecks
3. Die privatautonome Vereinbarung einer Umkehrung des darlehenstypischen Zahlungsstromes
4. Die Ausblendung der Interessen professioneller Vertragsparteien
IV. Die Ablehnung einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)
V. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
I. Einleitung
Mit seiner Entscheidung vom 9.5.2023 hat der BGH in einer Leitsatzentscheidung einen Anspruch auf Zahlung von „Negativzinsen“ aus Schuldscheindarlehen mit einer Zinsgleitklausel abgelehnt. Einer jüngeren Tendenz jedenfalls des XI. Zivilsenats des BGH folgend hat dieser Senat mit zwei weiteren Urteilen im unmittelbaren zeitlichen Anschluss die Entscheidungsinhalte bestätigt. Ob letzteres einer besonders effizienten Erledigung ähnlicher Rechtssachen durch den Senat geschuldet ist oder dem Bemühen um die Begründung einer ständigen Rechtsprechung noch bevor die höchstrichterlich gefundene Lösung der näheren Kritik der Wissenschaft ausgesetzt ist, mag dahinstehen. Denn zweifelsohne ist es Aufgabe der Jurisprudenz, die Entscheidungskriterien der Rechtsprechung ungeachtet einer raschen Verfestigung näher zu analysieren sowie zu kritisieren und ihr damit ggf. alternative Kriterien zu liefern. Vor diesem Hintergrund vermag die in Blick genommene Entscheidung des BGH nur teilweise zu überzeugen. Im Kern der nachfolgenden Kritik steht, dass der Senat den professionellen Vertragspartnern einen heteronomen, weil objektiv bestimmten Vertragsinhalt vorschreibt. Denn der Senat entnimmt den Vertragsinhalt im Wege der objektiven Auslegung dem von ihm formulierten gesetzlichen Leitbild des Darlehensvertrags i.S.v. §§ 488 ff. BGB. Die Entscheidung bestätigt eindrucksvoll die Reformbedürftigkeit der AGB-Kontrolle im B2B-Bereich, u.a. bei Verträgen von Finanzunternehmen. Sie zeigt zudem ein bislang nicht hinreichend bedachtes Einfallstor für die judikative Vertragskontrolle auf, das vom Gesetzgeber mit dem ZuFinG noch geschlossen werden sollte.
II. Die Auslegung der AGB-Klausel als Einfallstor für richterliche Maßstäbe
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass nicht nur der Inhaltskontrolle, sondern bereits der Auslegung von AGB durch den von §§ 133, 157 BGB kategorial verschiedenen Auslegungsmaßstab eine bedeutende Rolle bei der Fremdbestimmung Professioneller durch die Judikative zukommt. Denn die Auslegung von AGB enthält eine Vielzahl von Einfallstoren für eine richterliche Eigenwertung und das richterliche Verständnis vom „richtigen“ Vertragsinhalt. So wird in der Entscheidung über ein objektives Verständnis des Vertragsinhaltes das – von der Judikative formulierte – gesetzliche Vertragsleitbild zum Inhalt des konkreten Vertrags erhoben.
1. Die faktische Unausweichlichkeit des Vorliegens von AGB
Auch im B2B-Bereich ist die Bejahung von AGB bei dem von einer Partei eingeführten Vertragsentwurf im Regelfall unausweichlich, sofern der konkrete Vertrag nicht von den Parteien im Detail ausgehandelt wurde. Der BGH bejaht die Einordnung des Schuldscheindarlehens als AGB, die vom Kläger gestellt wurden, in der Entscheidung mit einem Satz.
Grund dieser Unausweichlichkeit ist das sehr enge Verständnis der Individualabrede des BGH auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr; deren Voraussetzungen sind in der Praxis zumeist nicht erreichbar. Bekanntlich muss für eine Individualabrede die Klausel vom Verwender ernsthaft zur Disposition gestellt werden; die theoretische Bereitschaft zum Aushandeln reicht nicht. Allenfalls ausnahmsweise kann ein unverändert gebliebener Entwurf diesem gerecht werden. Der BGH hat diese sehr strengen Anforderungen unlängst weiter verschärft und im unternehmerischen Rechtsverkehr angewandt. Indem diese Anforderung an jede einzelne Vertragsklausel gestellt wird und die Unternehmenspraxis bei Finanzgeschäften regelmäßig Standardverträge verwendet, bei denen die Parteien nur die Konditionen aushandeln, führt dieser Maßstab i.d.R. zum Vorliegen von AGB (§ 305 Abs. 1 BGB).
Freilich kann ausnahmsweise das Stellen der Vertragsbedingungen durch eine Partei (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB) fehlen, wenn sich beide Parteien unabhängig von der Reihenfolge und der Initiative zum Vertragsschluss auf ein beiden wohlbekanntes, marktübliches und nicht einer Marktseite besonders verbundenes Klauselwerk einigen. Dann liegen mangels eines Verwenders keine AGB vor. Abweichendes gilt aber wiederum bereits, wenn eine Seite den Vertragsschluss von der Verwendung des Formulars abhängig macht.
2. Im Dreischritt zum heteronomen Vertragsinhalt in der B2B-Konstellation
Mit der Bejahung von AGB ist in der in Blick genommenen Entscheidung der heteronome Vertragsinhalt ungeachtet der B2B-Konstellation vorgezeichnet. Freilich trifft die vom BGH betonte dogmatische Unterscheidung zwischen Vertragsauslegung, ergänzender Vertragsauslegung (§ 157 BGB) und AGB-rechtlicher Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) ebenso zu wie die Eigenständigkeit der jeweiligen Prüfungsmaßstäbe und ihre logische Prüfungsreihenfolge. Allerdings werden die Parteien in der Folge einem faktischen Vertragsinhaltszwang unterworfen. Denn der BGH erhebt den von ihm als gesetzliches Leitbild apostrophierten Inhalt des Vertragstypus über eine objektive Vertragsauslegung zum heteronomen Vertragsinhalt zwischen zwei professionellen Vertragsparteien. Die Entscheidung gelangt in einem Dreischritt aus objektiver Auslegung, Maßgeblichkeit des Wortlautes und eng verstandenem Darlehensleitbild des § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Maßgeblichkeit des gesetzlichen Leitbildes für den Vertragsinhalt.
Als ersten Schritt bestätigt der BGH die objektive Auslegung des Vertrages, soweit die Parteien AGB vereinbart haben, mithin auch, wenn der Vertrag ein Formularvertrag ist. In diesem Fall sei der „objektive Inhalt und typische Sinn“ des Vertrages maßgeblich, wie er von „verständigen und redlichen Vertragspartnern“ verstanden werde. Ausdrücklich betont der BGH, dass es sich um eine....
