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EuGH: Freie Fahrt dem Effektivitätsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Klausel-RL

Liest man pflichtgemäß die Seiten, auf denen der EuGH seine Urteile, aber auch die Schlussanträge der Generalanwälte Tag für Tag veröffentlicht, dann ist es mitunter so, dass schon Schlussanträge wesentliche Neuerungen mit einiger Emphase ankündigen – immer erwartend, dass der Gerichtshof diesen Ausführungen auch folgt, was er nur selten nicht tut. Einer dieser höchst bemerkenswerten Schlussanträge trägt jetzt das Datum des 16.2.2023 (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts v. 16.2.2023 – C-520/21 – Bank M.); Verfasser ist Generalanwalt Anthony Collins. In dieser polnischen Sache geht es erneut um eine rechtsmissbräuchliche Umrechnungsklausel (Schweizer Franken vs. Zloty) in einem Hypothekardarlehensvertrag. Die globale Finanzkrise des Jahres 2008/2009 bewirkte, dass aus dem attraktiven Zins- und Umrechnungsangebot ein Horrorszenario für den Verbraucher wurde.

Das Warschauer Bezirksgericht will daher unter Beachtung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 Klausel-RL 93/13/EWG vom EuGH wissen, ob die Parteien eines solchen Vertrags, der wegen der missbräuchlichen Umrechnungsklausel für nichtig erklärt wurde, „Ansprüche geltend machen können, die über die Rückerstattung der aufgrund dieses Vertrags erbrachten Geldleistungen und die Zahlung von Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Rückerstattung hinausgehen“. Die Darlehensnehmer – ein Ehepaar – forderten als Folge der Nichtigkeit des Darlehensvertrags die Mitte 2011 gezahlten Raten zurück und machten geltend, die Bank habe als Folge der rechtswidrigen Vereinnahmung dieser Raten Gewinne bis zum Jahr 2020 erzielt, die diese zurückgewähren müsse.

Im Rahmen der Prüfung der Ansprüche der Darlehensnehmer gegenüber der Bank stellt Generalanwalt Collins fest, dass es Aufgabe der nationalen Gerichte sei, der Frage nachzugehen, ob denn bei Nichtigkeit des Darlehensvertrags diesen Ansprüche zustehen, welche über die Rückerstattung der Darlehensraten und Zahlung gesetzlicher Verzugszinsen hinausgehen (Rz. 49). Wäre diese Frage – etwa im Rahmen des Bereicherungsrechts – zu bejahen, dann stünde dem die Klausel-RL im Rahmen der von ihr bezweckten Mindestharmonisierung nicht entgegen, was die den Verbrauchern zustehenden Rechte sogar verstärkt. Das ist die erste Schlussfolgerung, welche Generalanwalt Collins in seinem Gutachten zieht (Rz. 65).

Doch der entscheidende Knackpunkt liegt in der Beurteilung der Ansprüche, welche der Bank im Fall der Nichtigkeit eines Darlehensvertrags gegen den Darlehensnehmer zustehen (Rz. 56 ff.). In der Sache geht es – auch insoweit – um die vom nationalen Gericht zu beantwortende Frage, ob denn der Bank in diesen Fällen ein Anspruch auf Vergütung für die Nutzung des rechtswidrig erlangten Kapitals überhaupt zusteht (Rz. 59). Diese belief sich in dem zu entscheidenden Fall auf immerhin rund 42.000 €, „zwei Drittel des Darlehenskapitals“ (Rz. 61). Das führt dann geradewegs – gestützt auf den immer mehr um sich greifenden Effektivitätsgrundsatz im Sinne eines zu verstärkenden Verbraucherschutzes – zu der Schlussfolgerung und dem Entscheidungsvorschlag des Generalanwalts: „Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der RL 93/13 sind dahin auszulegen, dass sie einer gerichtlichen Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der dann, wenn ein zwischen einem Verbraucher und einer Bank geschlossener Darlehensvertrag wegen darin enthaltener missbräuchlicher Klauseln als von Anfang an nichtig befunden wird, der Bank neben der Erstattung der aufgrund dieses Vertrags gezahlten Beträge und ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Erstattung zu zahlender Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe zusätzliche, sich aus dieser Feststellung ergebende Ansprüche gegen den Verbraucher zustehen können“ (Rz. 65).

Wie nachhaltig dieser argumentative Ansatz des Generalanwalts ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass sich die Bank darauf berief, die Stabilität der Finanzmärkte in der gesamten EU sowie in Polen würde gefährdet, wenn den Banken die Möglichkeit genommen würde, in Fällen der Nichtigkeit eines Verbraucherdarlehens eine Vergütung auch dann zu verlangen (Rz. 63). Gegenargument: „Diesem Argument kommt im Kontext der Auslegung der RL 93/13, deren Ziel nicht die Erhaltung der Stabilität der Finanzmärkte, sondern vor allem der Schutz der Verbraucher ist, kein Gewicht zu. In jedem Fall sind Banken als auf der Grundlage des Rechts gegründete Rechtssubjekte verpflichtet, ihre Geschäftstätigkeit so zu gestalten, dass sie mit allen seinen Bestimmungen im Einklang steht“ (Rz. 63).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.02.2023 08:13

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