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BGH: Folgenlose Fristversäumnis

Gerade weil dies ein alltäglicher Fall ist, sind die Ausführungen des BGH bemerkenswert und vor allem für überlastete Anwälte durchaus ein Trost: Am 30.1.2023 hat der BGH durch Beschluss (BGH v. 30.1.2023 – VIa ZB 15/22) entschieden, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung erfolgreich war. Das Codewort ist auch hier „Diesel-Klage“, doch gleichzeitig wohl auch Begründung einer mit der Bearbeitung von Fristsachen überlasteten Sozietät: Der Kläger hatte beim LG verloren; seine Anwälte legten fristgerecht Berufung ein. Doch vor Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung beantragten sie deren Verlängerung, die auch gewährt wurde – allerdings mit dem nicht gerade nett zu nennenden Zusatz: „Eine weitere Verlängerung ist nicht zu erwarten.“

Doch genau diese erwies sich wegen der Arbeitsbelastung als dringend notwendig. Also: Erneuter Antrag auf Fristverlängerung, am letzten Tag der Frist eingereicht, dieses Mal für satte sechs Wochen; das Einverständnis des „Herrn Gegners“ lag vor und wurde versichert. Doch das Berufungsgericht wies den Antrag zurück. Einen Tag später beantragte die Sozietät Wiedereinsetzung. Naheliegende Begründung: Wegen des Einverständnisses des Gegners hätten sie erwarten dürfen, dass ihrer Bitte entsprochen würde. Doch das Berufungsgericht blieb hart. Die Rechtsbeschwerde zum BGH folgte auf dem Fuß.

Die harsche Rüge des BGH gegenüber dem OLG ließ nicht lange auf sich warten: Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, und zu lesen steht an dieser Stelle: „Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip“. Und dann: „Der Kläger durfte darauf vertrauen, dass sein rechtzeitig gestellter Antrag … nicht abgelehnt würde.“ Denn nach der Rechtsprechung des BGH konnte der Kläger als Rechtsmittelführer „mit großer Wahrscheinlichkeit“ erwarten, dass ihm die erbetene Verlängerung auch gewährt würde, weil ein solches Vertrauen bei Einwilligung des Gegners – gerade auch bei einer zweiten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – geschützt ist (Rz. 10). Doch dann das letztlich schlagende Argument: „Der vorangegangene Hinweis (des Berufungsgerichts), mit einer weiteren Verlängerung sei nicht zu rechnen, stand dem Vertrauen der Prozessbevollmächtigten des Klägers in die Fristverlängerung nicht entgegen“ (Rz. 11).

Dem Kläger ist es – so der BGH – auch nicht anzulasten, dass er den Antrag auf erneute Verlängerung der Frist erst am Tag ihres Ablaufs gestellt und sich nicht vor Ablauf der Frist erkundigt hatte, ob der Senat auch seinem Begehen entsprechen würde. „Denn“, so belehrt der BGH das Berufungsgericht, „für eine Rückfrage, ob dem Antrag stattgegeben wurde, besteht kein erkennbarer Anlass, wenn der Anwalt – wie im Streitfall – mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte“ (Rz. 12).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.03.2023 08:39
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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