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Aktuell in der ZIP

Insolvenzrechtliche Zuständigkeiten und grenzüberschreitende Mobilität (Kratzlmeier, ZIP 2023, 455)

Das internationale Insolvenzrecht ist im Wandel. Anpassungs- und Interpretationsbedarf ergibt sich dabei nicht nur aus der rapide voranschreitenden Reformierung und Modernisierung der mitgliedstaatlichen Insolvenzrechtsordnungen, die zuletzt durch die Restrukturierungsrichtlinie nochmals neu befeuert wurde. Wie die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Galapagos vom 24.3.2022 zeigt, hat auch die Neufassung der EuInsVO 2015 Rechtsunsicherheit gestreut – sei es nun im Hinblick auf Richterrecht, das bei der Kodifikation ausgelassen wurde, oder in Bezug auf reformatorische Neuerungen. Sowohl das mehrfach bekräftigte gesetzgeberische Bekenntnis, forum shopping unterbinden zu wollen, als auch das hier zu besprechende Urteil des EuGH geben daher Anlass, sich mit der internationalen Eröffnungszuständigkeit in Fällen grenzüberschreitender Mobilität zu befassen. Der Beitrag nimmt zunächst eine Einordnung des Urteils in der Rechtssache Galapagos vor, ehe die Verlagerung des center of main interest (COMI) im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung und deren Auswirkungen auf die internationale Insolvenz- und Restrukturierungszuständigkeit systematisch aufgearbeitet werden.


I. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Galapagos

1. Bestätigung der perpetuatio fori für die EuInsVO 2015 (Leitsatz 1)

2. Antragspriorität bei Kompetenzkonflikten zwischen fortbestehendem und neuem COMI (Leitsatz 2)

3. Der Brexit und das internationale Insolvenzrecht im Verhältnis zum UK (Leitsatz 3)

II. Bestandsaufnahme: Grenzüberschreitende Mobilität und ihre Auswirkungen auf die Insolvenzzuständigkeit

1. Verlegung des COMI während des anhängigen Verfahrens

2. Verlegung des COMI vor der Antragstellung

III. Ausblick: Die Restrukturierungsrichtlinie und das internationale Zuständigkeitsrecht


I. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Galapagos

Der zugrunde liegende Sachverhalt erscheint auf den ersten Blick etwas unübersichtlich, was nicht zuletzt der Vielzahl von Insolvenzanträgen und der wechselnden Kontrolle verschiedener Beteiligtengruppen über die Schuldnergesellschaft geschuldet ist. Bei der Galapagos SA handelte es sich um eine luxemburgische Holding- und Finanzierungsgesellschaft ohne eigene Arbeitnehmer. Im Juni 2019 richteten die erst kurz zuvor ernannten Geschäftsleiter die Hauptverwaltung der Gesellschaft im Vereinigte Königreich ein, wo sie am 22.8.2019 einen Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim High Court of Justice stellten. Nachdem eine Gläubigergruppe ihre Rechte aus einer Geschäftsanteilsverpfändung gezogen hatte, verlegte der von ihr neu bestellte Geschäftsleiter die Hauptverwaltung nach Deutschland und stellte vor dem AG Düsseldorf einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zuvor hatte er versucht, den Eigenantrag in England zurückzunehmen, was allerdings daran scheiterte, dass sich eine (andere) Gläubigergruppe dem Antrag angeschlossen hatte. Das AG Düsseldorf setzte einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein und ordnete weitere Sicherungsmaßnahmen an. Infolge einer sofortigen Beschwerde einer Gläubigergruppe hob das Gericht seinen Beschluss allerdings zwei Wochen später wieder auf und wies den Insolvenzantrag mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Auf zwei neue Fremdanträge hin bestellte das AG Düsseldorf drei Tage darauf erneut denselben vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete wiederum entsprechende Sicherungsmaßnahmen an. Die auf die mangelnde internationale Zuständigkeit gestützte sofortige Beschwerde einer Tochtergesellschaft der Schuldnerin, die zugleich Gläubigerin war, blieb vor dem LG Düsseldorf erfolglos. Im Rahmen der Rechtsbeschwerde setzte der BGH das Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH hat Folgendes entschieden:

1. Ein Gericht, bei dem ein Insolvenzantrag anhängig ist, bleibt weiter ausschließlich international zuständig, wenn der COMI des Schuldners nach Antragstellung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird.

2. Ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das später mit einem Antrag über denselben Schuldner befasst ist, kann sich nicht für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens für zuständig erklären, solange nicht das erste Gericht seine Zuständigkeit verneint hat.

3. Die Wirkungen der Verordnung einschließlich der Sperrwirkung gelten im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nur für Verfahren, die bis zum 31.12.2020 eröffnet wurden.

1. Bestätigung der perpetuatio fori für die EuInsVO 2015 (Leitsatz 1)

Die erste Aussage des Urteils war so vorhersehbar wie einleuchtend: (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.03.2023 12:22
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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