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EuGH: Gerichtliche Vorlageanordnung von Dokumenten und DSGVO

Am 2.3.2023 hat der EuGH (EuGH, Urt. v. 2.3.2023 – C-268/21 – Norra Stockholm Bygg) eine Entscheidung getroffen, die im Schnittpunkt der zivilprozessualen Anordnung zur Vorlage von Dokumenten (§ 142 ZPO) und dem Schutz der personenbezogenen Daten nach Maßgabe der Art. 5 und 6 DSGVO liegt. Im Kern ging es in diesem Urteil um die gerichtliche Anordnung der Vorlage eines für Zwecke der Steuerprüfung erstellten – ungeschwärzten – Personenverzeichnisses, weil ein Unternehmen Bezahlung eines Restbetrags der bei der Errichtung eines Bürogebäudes aufgewandten Arbeitsstunden verlangte. Die Vorlage dieses Personenverzeichnisses sollte Beweis dafür erbringen, dass und ob die klageweise geltend gemachten Arbeitsleistungen auch tatsächlich erbracht worden waren. Dagegen verwahrte sich die Beklagte; sie trug vor, dieses Personenverzeichnis enthalte schützenswerte personenbezogene Daten.

Nach Durchlauf durch die Instanzen legte das Oberste schwedische Gericht dem EuGH zwei Fragen vor: „1. Sind Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 DSGVO auch Anforderungen an das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Vorlegungspflicht zu entnehmen? 2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Sind nach der DSGVO auch die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen, wenn über die Vorlegung von Unterlagen mit personenbezogenen Daten entschieden wird? Enthält das Unionsrecht in einem solchen Fall Vorgaben dafür, wie im Einzelnen diese Entscheidung zu treffen ist?“ (Rz. 24).

Während Art. 6 Abs. 3 DSGVO die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen des Unionsrechts und dem jeweiligen Mitgliedstaat festlegt, bezieht sich die nachfolgende Bestimmung des Abs. 4 auf einen umfangreichen Katalog von Vorschriften des Unionsrechts und der Mitgliedstaaten, welche der „Verantwortliche“ (Art. 4 Nr. 7 DSGVO – entscheidet über Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten) und der „Auftragsverarbeiter“ zu beachten haben. Der Gerichtshof hält in seinem Leitsatz fest, dass eben diese datenschutzrechtliche Bestimmung „im Rahmen eines Zivilgerichtsverfahrens auf die Vorlegung eines Personalverzeichnisses als Beweismittel anwendbar ist, das personenbezogene Daten Dritter enthält, die hauptsächlich zum Zwecke der Steuerprüfung erhoben wurden“ (Rz. 41).

Doch der Sprengsatz dieses Urteils liegt in seinem zweiten Leitsatz: „Die Art. 5 und 6 DSGVO sind dahin auszulegen, dass das nationale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Vorlegung eines Dokuments mit personenbezogenen Daten anzuordnen ist, verpflichtet ist, die Interessen der betroffenen Personen zu berücksichtigen und sie je nach den Umständen des Einzelfalls, der Art des betreffenden Verfahrens und unter gebührender Berücksichtigung der Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, sowie insbesondere derjenigen Anforderungen abzuwägen, die sich aus dem Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO ergeben“ (Rz. 59).

Die entscheidende Frage für die – richtlinienkonforme – Interpretation von § 142 ZPO ist nunmehr die, ob das dem Richter insoweit zugebilligte und von ihm auch auszuübende pflichtgemäße Ermessen diesen unionrechtlichen Grundsätzen gerecht wird. Nach der (bisherigen) Rechtsprechung ist es ermessensfehlerhaft, wenn bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 142 Abs. 1 ZPO das Gericht eine Vorlage der Beweismittel nicht anordnet (BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, ZIP 2007, 1543 = EWiR 2007, 671 (Salger)). Gegenläufig: Die Verschwiegenheitspflicht eines Notars sperrt die Vorlagepflicht betreffend die Notarakten (BGH v. 17.7.2014 – III ZR 514/13, DNotZ 2014, 837). Ob der Schutz der personenbezogenen Daten in einem Personenverzeichnis ebenfalls eine solche Sperre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bewirken kann, ist die noch offene Wertungsfrage. Hinzutritt aber auch der zu beachtende Verweis auf den Grundsatz der Datenminimierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO. Dieser hat mit dem Geheimhaltungsinteresse des Inhabers des vorzulegenden Dokuments – einer der Erwägungsgründe im Rahmen von § 142 Abs. 1 ZPO – nichts zu tun, sondern stellt die – vorgelagerte – Frage, ob denn die Erfassung der personenbezogenen Daten tatsächlich auf das notwendige Maß beschränkt wurde („limited to what is necessary“).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.03.2023 08:23
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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