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BGH v. 9.3.2023 - IX ZR 91/22

Fluggastrechte: Ausgleichszahlungen trotz Insolvenz der Fluggesellschaft?

Fluggäste, die über eine bestätigte Buchung verfügen, denen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fluggesellschaft aber kein durchsetzbarer Beförderungsanspruch mehr zusteht, reisen nicht kostenlos. Werden im Zuge der vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Erfüllung einer Insolvenzforderung andere Rechte oder Rechtsgüter des Insolvenzgläubigers verletzt oder geschädigt, sind die hieraus folgenden Ansprüche Masseverbindlichkeiten.

Der Sachverhalt:
Am 15.6.2019 buchte der Kläger für sich und für eine weitere Person Flüge von Frankfurt a.M. nach Samara und von Samara nach Frankfurt a.M. für den 22.12.2019 und für den 30.12.2019. Er bezahlte den Flugpreis. Am 1.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Die vom Kläger gebuchten Flüge fanden statt. Der Rückflug kam jedoch erst mit einer Verspätung von mehr als vier Stunden ans Ziel. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde mit Beschluss vom 26.11.2020 aufgehoben, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war. Der Kläger verlangt aus eigenem Recht sowie aus abgetretenem Recht der weiteren Person Ausgleichszahlungen von je 600 € nebst Zinsen.

Das AG gab der Klage lediglich in Höhe der Planquote nebst Zinsen statt; das LG gab ihr vollumfänglich statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 1.200 € nebst Zinsen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die FluggastrechteVO ist im vorliegenden Fall anwendbar. Ihre Anwendung ist nicht nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 FluggastrechteVO ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift gilt die FluggastrechteVO nicht für Fluggäste, die kostenlos befördert werden. Kostenlos reisen Fluggäste, die kein Entgelt entrichtet haben. Dazu gehören Kleinkinder, die keinen Flugpreis entrichten und ohne Sitzplatzanspruch auf dem Schoß der Eltern reisen, ebenso wie Flugpersonal, das etwa einen Flug unentgeltlich als dienstlichen Zubringerflug nutzt. Die Ansprüche, die die FluggastrechteVO gewährt, sind davon abhängig, dass der Fluggast seine Beförderung mit einem Entgelt erkauft hat. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, kostenlos im Sinne der FluggastrechteVO reise auch, wer befördert werde, obwohl ihm nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Luftfahrtunternehmens kein durchsetzbarer Beförderungsanspruch zustehe. Dies trifft nicht zu.

Der Kläger hat die Flugscheine für sich und für die weitere Person bezahlt. Wegen der Zahlung sind die Buchungen bestätigt worden. Aufgrund der bestätigten Buchungen sind der Kläger und die weitere Person befördert worden. Die Zahlung des Flugpreises ist eine Tatsache, an welcher die spätere Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts geändert hat. Ein durchsetzbarer Beförderungsanspruch ist nicht Voraussetzung der Rechte nach der FluggastrechteVO. Die dem Fluggast nach der FluggastrechteVO zustehenden Ansprüche setzen eine bestätigte Buchung und damit in der Regel einen Beförderungsvertrag voraus. Sie ergeben sich aber nicht aus dem Beförderungsvertrag, sondern unmittelbar aus der Verordnung.

Entgegen der Ansicht der Revision können die Ansprüche des Klägers nicht gem. § 254 Abs. 1, § 254b InsO nur nach Maßgabe des Insolvenzplans geltend gemacht werden. Es handelt sich vielmehr um Masseverbindlichkeiten gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 InsO, auf welche der Insolvenzplan, wie sich aus § 217 InsO ergibt, keinen Einfluss hatte. Der Insolvenzplan regelt hier keine Masseverbindlichkeiten. Werden im Zuge der vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Erfüllung einer Insolvenzforderung andere Rechte oder Rechtsgüter des Insolvenzgläubigers verletzt oder geschädigt, sind die hieraus folgenden Ansprüche Masseverbindlichkeiten.

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Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 2021
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.04.2023 14:35
Quelle: BGH online

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