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Global Framework Agreements - Globale Rahmenvereinbarungen mit Gewerkschaften zu sozialen Standards - Ein Beitrag zur Diskussion des Lieferkettensorgfaltsgesetzes (Göpfert/Bertke, ZIP 2023, 1049)

Die Einhaltung sozialer Mindeststandards wird zur zentralen Aufgabe einer durch ESG geprägten, wertorientierten Personalarbeit. So zitiert die Financial Times auf der Front-Page (!) am 18.1.2023 aus einem Interview mit dem MARS-CEO: „MARS staff won’t stay with us if we don’t care about ESG or purpose. (...) We don’t believe that purpose and profits are enemies. (...) quality companies are deeply invested in this and if I walk out and I take a 25 year old associate that has joined us from university they will want us to do this.“ Aber die Diskussion ist längst fortgeschritten. „From Minimum Wage to Living Wage“ ist nur ein Thema der wertorientierten Personalführung, und insgesamt geht es darum, entsprechend den einschlägigen Richtlinien der ILO und OECD ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das diskriminierungsfrei zu einem „Decent Living“ führt, also einer menschengerechten Arbeit in fairem Umfeld.

I. Einleitung
II. International Framework Agreements (IFA)
III. Übliche Inhalte von IFA
IV. IFA als Chance im ESG-Kontext

1. Mögliche Kongruenz zwischen Sorgfaltspflichten nach dem LkSG und IFA-Verpflichtungen
2. Nachhaltige Unternehmensführung als Wettbewerbsvorteil
3. Unternehmenskultur und Prävention von Compliance-Verstößen
V. Wichtige Hinweise bei der Verhandlung von IFAs
VI. Fazit


I. Einleitung

Das am 1.1.2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) ist nur ein Ausdruck der Verpflichtungen, Umweltbelange und Menschenrechte sowohl im eigenen Geschäftsbetrieb als auch bei unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern zu wahren. Verboten sind z.B. Kinder- und Zwangsarbeit, die Missachtung der am Beschäftigungsort geltenden Arbeitsschutzpflichten (bspw. genügende Sicherheitsstandards, die Ausbildung und Unterweisung von Beschäftigten und die Verhinderung übermäßiger körperlicher und geistiger Ermüdung durch die Beachtung von Arbeitszeitgrenzen), die Missachtung der Koalitionsfreiheit, Ungleichbehandlung und das Vorenthalten eines angemessenen Lohns (§ 2 Abs. 2 LkSG). Die so durch das LkSG geschützten Rechtspositionen sind überwiegend identisch mit Mindest-Standards internationaler Abkommen, z.B. den als Kernarbeitsnormen bezeichneten Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO). Eine über das Schutzniveau des LkSG im Detail sogar noch hinausgehende europäische Richtlinie wird gerade vorbereitet.

Damit wird „Soft Law“ zu zwingender Verpflichtung. In diese Richtung arbeiten seit über 20 Jahren die gewerkschaftlichen Bemühungen, große und mittlere Unternehmensgruppen durch den Abschluss sog. „Globaler Rahmenvereinbarungen“ (GRV, auf Englisch üblich: Global Framework Agreement, GFA, oder – in jüngerer Zeit – International Framework Agreements, nachfolgend daher IFA) mit globalen Gewerkschaftsverbänden (oftmals auch weiteren Arbeitnehmervertretungen wie nationalen Gewerkschaften und Europäischen Betriebsräten) auf den Schutz sozialer Mindeststandards zu verpflichten. Der vorliegende Beitrag erklärt die Rechtsnatur (unter II), die Inhalte (unter III) und den Nutzen von IFAs (unter ZIP 2023, 1050IV) und gibt praktische Hinweise zu ihrer Verhandlung (unter V).

II. International Framework Agreements (IFA)
IFA sind Vereinbarungen, die zwischen international tätigen Unternehmen oder Unternehmensgruppen und globalen Gewerkschaftsverbänden – oftmals ergänzend auch von nationalen Gewerkschaften und weiteren Arbeitnehmervertretungen wie bspw. einem Europäischen Betriebsrat – geschlossen werden. Üblicherweise bekennen sich die Parteien zu grundlegenden Arbeitnehmerrechten, die meist mit den fünf in den ILO-Kernarbeitsnormen geregelten Grundprinzipien übereinstimmen: Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit, Verbot der Diskriminierung, Regelungen zu Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit.

Die erste Vereinbarung dieser Art wurde Ende der 1980er Jahre zwischen Danone und der International Union of Foodworkers (IUF) geschlossen. Seither wurden insbesondere in den 1990er und 2000er Jahren weltweit ca. 340 IFA für über 200 Unternehmen vereinbart. Die überwiegende Zahl der IFA – mehr als 80 % – wurden von europäischen – insbesondere deutschen und französischen – Unternehmen, geschlossen.

Eine rechtliche Grundlage für IFA besteht nicht. Bestrebungen auf europäischer Ebene, für IFA einen Rechtsrahmen zu schaffen, sind ergebnislos verlaufen. Es ist daher nicht abschließend geklärt, ob IFA rechtliche Wirkungen entfalten können. Die Frage ist im Einzelfall im Wege der Auslegung der Vereinbarung zu ermitteln, wobei sich das hierbei anzuwendende Recht nach Art. 3, 4 Rom-I-VO bestimmt. Formulieren IFA danach eindeutig subjektive Rechte einer Vertragspartei, bspw. ein Recht auf regelmäßige weltweite Treffen oder auf Zugangsrechte einer Gewerkschaft zum Betrieb, spricht dies für die Möglichkeit eines rechtlich durchsetzbaren Anspruchs, sofern nicht zugleich...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.05.2023 10:16
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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