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BGH: Scheinselbstständige und freie Mitarbeiter als Beschäftigte in der Anwaltskanzlei

Mit Urteil vom 8.3.2023 hat der BGH (Urt. v. 8.3.2023 – 1 StR 188/22) erneut den Versuch unternommen, eine sozialrechtlich abgesicherte Trennlinie zwischen einem freien Mitarbeiter und einem Scheinselbstständigen zu ziehen, welche in einer Einzelkanzlei beschäftigt waren. Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in immerhin 189 Fällen lautete der Vorwurf, der u.a. wegen der illegalen Beschäftigung von zwölf Anwälten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr führte, ausgesetzt allerdings zur Bewährung. In einem ersten Schritt umschreibt der BGH den im Wesentlichen im Arbeitsrecht entwickelten Begriff der Beschäftigung in einem fremden Betrieb: Eingliederung und dann eben auch das Bestehen eines Weisungsrechts des Arbeitgebers, das Zeit, Ort, Dauer und Art der Tätigkeit umfasst. Das sind die Stichworte. Selbstständigkeit als das Gegenstück bedeutet: eigenes Unternehmerrisiko, eigene Betriebsstätte und eben eine im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und eine danach auch ausgerichtete Arbeitszeit.

Doch auch dieses Mal unterstreicht der BGH: Die Grenzen sind fließend, gerade auch in einer Anwaltskanzlei; es entscheidet daher das Gesamtbild, ob eine selbstständige oder eine unselbstständige Tätigkeit des jeweiligen beschäftigten Anwalts vorliegt. Der BGH spricht hier von den „tatsächlichen Gegebenheiten der gelebten Beziehung“, um dann noch anzufügen, es komme so gesehen auf eine „wertende Gesamtbetrachtung“ an (Rz. 11). „Maßgebend“, so erklärt der BGH, ist „stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung“ (Rz. 13).

Doch im gleichen Atemzug zerfasert dieses „Gesamtbild“ wieder, weil der BGH es in viele Einzelteile zerlegt: „Soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, weil die konkreten Umstände sowohl bei einer abhängigen Beschäftigung als auch einer selbstständigen Tätigkeit festzustellen sein können, muss im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung den übrigen Merkmalen mehr Gewicht beigemessen werden. In diesen Fällen ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Insoweit ist vor allem entscheidend, ob die Tätigkeit mit einem – ggf. pauschalierten – Verlustrisiko belastet ist und deshalb einer Gewinnbeteiligung gleichkommt oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen ist“ (Rz. 13).

Doch entscheidend war dann eben doch – sozusagen auch als Daumenregel für die Praxis: Die zwölf Anwälte mussten eine Arbeitszeit von wöchentlich 40 bis 60 Stunden leisten, wofür sie keine Gewinnbeteiligung, sondern „nur“ ein festes Honorar erhielten. Ihre Scheinselbstständigkeit war der wahre Preis.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.05.2023 07:56
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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