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Der Anwendungsbereich der Vorschriften über das Gesellschafterdarlehen in der neueren Rechtsprechung des BGH (Bork, ZIP 2023, 1721)

Der BGH hat dem Recht der Gesellschafterdarlehen in den letzten Jahren schärfere Konturen verliehen. Der vorliegende Beitrag spürt den neueren Entwicklungen kritisch nach und bietet ergänzende Lösungen für diejenigen Fragen an, die in den Entscheidungen des IX. Senats der jüngeren Vergangenheit offengeblieben sind. Dabei konzentriert er sich auf den persönlichen und den sachlichen Anwendungsbereich der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO.

I. Einführung
II. Persönlicher Anwendungsbereich

1. Gesellschafter
2. Gleichgestellte Personen
a) Konzernverbindungen
b) Vertragliche Verbindungen
c) Sonstige Verbindungen
3. Kleinbeteiligtenprivileg (§ 39 Abs. 5 InsO)
4. Irrelevanz der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht
III. Sachlicher Anwendungsbereich
1. Darlehen
2. Gleichgestellte Forderungen
a) Stehenlassen
b) Fälligkeitsvereinbarungen
c) Anfechtung der Umqualifizierung
IV. Zusammenfassung


I. Einführung

Die Unternehmensfinanzierung durch Gesellschafter ist gängige Praxis. Dabei reicht die Palette von der Einlage über die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Kapitalerhöhung bis zur Cash Pool-Finanzierung im Konzern. Finanziert der Gesellschafter die Gesellschaft durch Fremdkapital, etwa durch ein ausdrückliches Gesellschafterdarlehen, so wird dieses in der Insolvenz der Gesellschaft zurückgestuft: Offene Darlehensforderungen sind gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangige Insolvenzforderungen und Leistungen auf das Darlehen sind nach Maßgabe – insbesondere in den zeitlichen Grenzen – des § 135 Abs. 1 InsO anfechtbar. Mit diesen Konstellationen hatte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung – ursprünglich des II. Senats und seit dem Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 des IX. Senats – verschiedene Male zu beschäftigen. Im Folgenden werden die Entscheidungen des BGH aus den letzten Jahren zum Anlass für eine kritische Bestandsaufnahme genommen, wobei sich die Analyse auf die Ausführungen zum persönlichen (II) und zum sachlichen (III) Anwendungsbereich der §§ 39, 135 InsO konzentrieren, die immer wieder Anlass für gründlichere Untersuchungen bieten.

II. Persönlicher Anwendungsbereich
Im persönlichen Anwendungsbereich sind Normadressaten der Vorschriften über das Gesellschafterdarlehen Gesellschafter (1) und gesellschaftergleiche Dritte (2).

1. Gesellschafter
Der Begriff des Gesellschafters ist ganz formal zu verstehen. Dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt jeder, der an der insolventen Gesellschaft direkt als Gesellschafter beteiligt ist. Personen, auf die das nicht zutrifft, können nur als gesellschaftergleiche Dritte Normadressaten sein. Unmittelbar in den persönlichen Anwendungsbereich einbezogen sind daher insbesondere bei der AG die Aktionäre, bei der GmbH die GmbH-Gesellschafter sowie bei der GmbH & Co. KG die Komplementär-GmbH und – wie der BGH in den Entscheidungen vom 21.11.2019 und vom 17.12.2020 noch einmal festgehalten hat, die Kommanditisten.

Über eine zwischengeschaltete Gesellschaft nur mittelbar beteiligte Personen können nicht als Gesellschafter, sondern nur als gesellschaftergleiche Dritte Normadressaten sein. Das betrifft etwa die Gesellschafter einer GmbH, die ihrerseits Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin ist, insbesondere die Gesellschafter der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG. Sie sind entgegen den Ausführungen des IX. Senats in der Entscheidung vom 21.11.2019 nicht als (mittelbare) Gesellschafter, sondern als gesellschaftergleiche Dritte in den persönlichen Anwendungsbereich der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO einbezogen.

Von großer Bedeutung und Gegenstand neuerer Entscheidungen ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Darlehensgeber Gesellschafter gewesen sein muss. Denn es kommt immer wieder vor, dass sich gut beratene Gesellschafter in der Krise ihrer Gesellschaft von ihrer Gesellschafterstellung trennen, um sich so aus dem Anwendungsbereich der Normen über das Gesellschafterdarlehen hinauszustehlen. Aufbauend auf der Grundsatzentscheidung des II. Senats vom 15.11.2011 steht der BGH dazu in nunmehr ständiger Rechtsprechung – zuletzt in einer Entscheidung vom 20.4.2023 – auf dem Standpunkt, dass es dafür nicht auf den Zeitpunkt der Darlehensgewährung, sondern auf die Verhältnisse innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag ankomme. Der IX. Senat sieht darin einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis, Umgehungen der §§ 39, 135 InsO zu begegnen, einerseits, und der Vermeidung einer unbegrenzten zeitlichen Subordination, andererseits. Wer also innerhalb dieses Jahreszeitraums zunächst Gesellschafter war, bleibt Normadressat, wenn er die Beteiligung vor Darlehensrückzahlung auf einen Dritten übertragen hat, und wer die Gesellschafterstellung innerhalb des Jahreszeitraums erworben hat, wird Normadressat, auch wenn er es bei Darlehensgewährung noch nicht war. Ganz entsprechend ist zu entscheiden, wenn sich der darlehensgebende Gesellschafter innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag nicht von seiner gesellschaftsrechtlichen Beteiligung, sondern von seiner Darlehensforderung trennt. In diesem Fall erwirbt der Zessionar nach dem Rechtsgedanken des § 404 BGB eine nachrangige Insolvenzforderung und Zahlungen an ihn sind gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar, und zwar – wie der BGH zuletzt mit Entscheidung vom 14.2.2019 bekräftigt hat – sowohl ihm gegenüber als auch dem mit dem Zessionar gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschafter gegenüber.

2. Gleichgestellte Personen
Ebenso wie die Gesellschafter gehören auch gesellschaftergleiche Dritte zum Adressatenkreis der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO. Beide Normen bestimmen das zwar nicht ausdrücklich, beziehen aber „gleichgestellte Forderungen“ in den Anwendungsbereich mit ein und es entspricht allgemeiner Ansicht, dass das nicht nur für den sachlichen, sondern auch...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.08.2023 09:54
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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