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Aktuell in der ZIP

Die Entwicklung des Berufsbilds des Insolvenzverwalters (Thole, ZIP 2023, 1769)

Das Berufsrecht der Insolvenzverwalter wird derzeit heiß diskutiert. Auf politischer Ebene sind die Dinge im Fluss, auch wenn der gordische Knoten bei der Suche nach einem Kompromiss zwischen den von den verschiedenen Verbänden favorisierten Ansätzen noch nicht durchschlagen ist. Im Kern geht es primär um die Frage, ob und in welcher Form die Zulassung zum Insolvenzverwalteramt (ebenso wie der Widerruf der Zulassung und die weitere Aufsicht) geregelt werden soll. Dieser Beitrag hat nicht das Ziel, einen eigenen, weiteren Regelungsvorschlag in die Diskussion einzubringen, sondern unternimmt es, die grundlegenden Wertungen der in die Diskussion eingeführten Argumente zu überprüfen und zu hinterfragen; erst auf dieser Grundlage können Folgerungen für eine stimmige berufsrechtliche Regelung gezogen werden. Während man einerseits von einer berufsrechtlichen Zulassungsregelung nicht zu viel erwarten sollte, weil die konkrete Verwalterauswahl im konkreten Verfahren entscheidend bleiben dürfte, wäre es doch andererseits fragwürdig, wenn eine berufsrechtliche Regelung auf überholten Prämissen aufbaute. Entscheidend ist insofern u.a., wie sich das Berufsbild der Insolvenzverwalter entwickelt hat; die jüngere Entwicklung des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts und ihre Auswirkungen auf dieses Berufsbild hat bisher vergleichsweise geringen Widerhall in der Diskussion gefunden.

I. Einführung in die vorherrschende rechtspolitische Diskussion
1. Angenommene Regelungsbedarfe
2. Vertretene Regelungsansätze
a) Modell der Selbstverwaltung
b) Modell der Staatsaufsicht (Bundesamt für Justiz)
II. Pflicht zur Zulassungs- und Berufsregelung?
1. Die verfassungsrechtliche Entwicklung unter Art. 12 GG
2. Pflicht zum Berufsrecht aufgrund des Verfassungsrechts?
3. Pflicht zum Berufsrecht aufgrund der RL 2019/1023?
4. Zwischenergebnis
III. Ist die Verwaltertätigkeit noch ein eigenständiger Beruf?
1. Der Einfluss des Sanierungsgedankens auf das Berufsbild über das ESUG
a) Vorbefassung in gewissem Umfang möglich
b) Neue Betätigungsfelder aufgrund des ESUG
c) Wandel der Bestellpraxis
d) Professionalisierung im Insolvenzverfahren
2. Die gestiegene Bedeutung der Sanierung und der Rückgang der Verfahrenszahlen
3. Der Einfluss des StaRUG
a) Verzahnung von vorinsolvenzlicher Sanierung und Insolvenzrecht
b) Auswirkungen auf das Berufsbild
4. Zwischenergebnis
IV. Abschließende Folgerungen für die berufsrechtliche Ausgestaltung
1. Eigenständiges Berufsgesetz?
2. Forderung nach Regelung der Zulassung/zentralen Listenführung: kein bestimmtes Regelungsmodell vorgegeben
3. Zulassungsregelung als ausschnittartige Regelung


I. Einführung in die vorherrschende rechtspolitische Diskussion
Der rechtlichen Bewertung des Berufsbilds des Insolvenzverwalters muss zunächst eine Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion vorausgehen. Dabei kann sich die Darstellung auf die allgemeinen Linien beschränken, die das rechtspolitische Umfeld prägen. Insoweit erscheint es hilfreich, zwischen dem Regelungsbedürfnis und den diskutierten Regelungsansätzen zu unterscheiden.

1. Angenommene Regelungsbedarfe
Was den Regelungsbedarf angeht, so dreht sich die Diskussion primär um die Frage der Vorauswahl von Verwaltern. Die Vorauswahl betrifft also die Frage der Zulassung oder – synonym – die sog. Listung. Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass die Zulassung zum Insolvenzverwalteramt in §§ 56, 56a InsO bisher gesetzlich eher rudimentär geregelt worden ist. Entsprechendes gilt für den (vorläufigen) Sachwalter über die Verweisung in § 274 InsO, die Person des Verfahrenskoordinators nach § 269e InsO und den Restrukturierungsbeauftragten nach § 74 Abs. 1 StaRUG, während bei dem Sanierungsmoderator nach § 94 Abs. 1 StaRUG ganz auf eine Listung verzichtet wird (dazu noch unten III 3 b).

Vor diesem Hintergrund wird – beim Insolvenzverwalter als pars pro toto – verbreitet ein Mangel des Vorauswahlwesens beklagt, weil es für die Aufnahme in die Vorauswahlliste keine klar definierten Kriterien gebe und vor allem die zahlreichen Insolvenzgerichte in Deutschland nach nicht vereinheitlichten und nicht transparenten Maßstäben sowohl die Liste führten als auch die Auswahlentscheidung im konkreten Fall vornähmen. Es erscheint ebenfalls als ein Manko, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein De-Listing erfolgen kann, ebenfalls nicht gesetzlich geregelt ist. Dementsprechend ist die Aufnahme in die Vorauswahlliste streitanfällig. Tatsächlich haben die Verweigerung der Listung und das De-Listing zu verschiedenen Gerichtsentscheidungen geführt.

Das Fehlen gesetzlicher Regeln, aber auch die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, die insoweit eine Strukturierung und Verifizierung von Daten über die Bewerber als Grundlage der sachgerechten Ermessensausübung bei der Auswahlentscheidung anmahnen, haben bestimmte Entwicklungen in der Praxis der Insolvenzgerichte angestoßen. Insbesondere haben Gerichte Fragebögen entwickelt, sich teils aber auch darüber hinaus zu „Qualitätsmessungen“ veranlasst gesehen. Diese Messungen finden statt in Gestalt der Erhebung verschiedener Kennzahlen aus vergangenen Insolvenzverfahren oder der Erhebung sonstiger personenbezogener Merkmale (Erfahrung, „Kommunikative Kompetenz“, Mitarbeiteranzahl u.a.m.), die dann in Punkte umgesetzt werden (Hannoveraner Modell).

Allerdings sind derartige Versuche der Insolvenzgerichte, eigene Maßstäbe zu setzen, weitgehend gescheitert. So hält der BGH für das Hannoveraner Modell eine Punktbewertung der Bewerber für rechtswidrig, wenn die zugrunde liegenden Daten der einzelnen Bewerber auf einer unzureichenden Grundlage gewonnen werden oder nicht ausreichend vergleichbar sind. Das Insolvenzgericht kann für die Vorauswahlliste von Bewerbern zwar grundsätzlich aus den von diesen abgeschlossenen Insolvenzverfahren Daten zu verfahrensbezogenen Merkmalen (wie etwa „Sanierung“, „Insolvenzpläne“, „Massesteigerung“, „Ausschüttungsquote“, „Verwaltungskosten“, „Abweisung mangels Masse“ und „Verfahrensdauer“) erheben, aber daraus Punktewerte abzuleiten, ist kaum möglich, weil der ermittelte Wert entscheidend davon abhängt, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Anzahl und in welcher Art von Unternehmensinsolvenzen der Bewerber in der Vergangenheit zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Damit ist die Punktbewertung ohne Aussagekraft, weil weder die herangezogene Datengrundlage noch die Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden Verfahren gesichert ist.

Die Vorauswahlliste betrifft dabei letztlich zwei Punkte, die trotz ihrer Verwobenheit nicht miteinander vermengt werden dürfen. Einerseits geht es um die in der rechtspolitischen Diskussion im Vordergrund stehende Berufszulassung (weniger um Berufsausübung), andererseits um die Messung von Qualität anhand bestimmter, über Grundvoraussetzungen (wie z.B. Studium o.Ä.). hinausgehender sachlicher wie persönlicher Kriterien (Erfahrungen, Branchenkenntnisse, Fremdsprachen, Büroausstattung etc.).

Das Augenmerk der so skizzierten Entwicklung liegt auf der Zulassung zum Verwalteramt. Im Vordergrund der dazu geführten Diskussion steht tendenziell eher die Frage der Handhabbarkeit der Listenführung durch die Gerichte und teils auch die beklagte Belastung der Justizapparate durch die Listenführung. Es geht mithin weniger um Umstände, die nach allseitiger Einschätzung berufsrechtlich relevant wären, etwa eine hohe Zahl von Veruntreuungen von Mitteln der Masse, fehlende Haftpflichtversicherungen oder eine zu häufige Bestellung bzw. Aufnahme von generell ungeeigneten Personen usw. Demgemäß mögen zwar Defizite durchaus tatsächlich bestehen, aber sie sind letztlich bisher nicht in einer Weise wissenschaftlich-empirisch festgestellt, die über anekdotische Evidenz hinausginge. Schon darin liegt eine wesentliche Erkenntnis, denn jedenfalls zum Teil wird die Diskussion zum Vorauswahlwesen weniger auf der Grundlage festgestellter (und insoweit berufsrechtlich eher regelungsbedürftiger) Qualitätsmängel geführt als vielmehr unter der Prämisse, dass sich das Vorauswahlsystem aufgrund der uneinheitlichen Praxis und der Belastungen für die Richterpersonen als ineffizient erwiesen habe.

Vor dem so beschriebenen Hintergrund werden im Einzelnen verschiedene Lösungen diskutiert.

2. Vertretene Regelungsansätze

a) Modell der Selbstverwaltung

Was die Regelungsansätze angeht, so wird verbreitet ein Modell der Selbstverwaltung präferiert, das allerdings in verschiedenen Spielarten diskutiert wird.

Insbesondere der VID hat vorgeschlagen, die Berufszulassung, Berufsausübung und Berufsaufsicht einer selbstverantworteten Insolvenzverwalterkammer zu übertragen. Die Berufsausübung solle sich weitgehend an den schon bisher für die Mitglieder des VID verbindlichen „GOI“ (Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung) orientieren. Die Berufsaufsicht sollte danach der neu zu schaffenden Insolvenzverwalterkammer übertragen werden, unbeschadet der...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.08.2023 10:02
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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