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EU: Ernennung der „Gatekeeper“ im Rahmen des Gesetzes über digitale Märkte (DMA)

Am 12.10.2022 wurde das Gesetz über digitale Märkte (DMA) im Amtsblatt der EU veröffentlicht (VO (EU) 2022/1925 – ABl. 2022 L 265, 1); seit dem 2.5.2023 gilt es in der EU. Nunmehr hat die EU-Kommission am 6.9.2023 einen weiteren entscheidenden Baustein dieses Gesetzes beschlossen und insgesamt 22 „Gatekeeper“ („Torwächter“) – unter ihnen Apple, Amazon, Alphabet, Meta und Microsoft – benannt (Benennungsbeschluss nach Art. 3 Abs. 9; vgl. im Übrigen Art. 5–7, 13 DMA). Ziel des DMA ist es, innerhalb der EU faire und bestreitbare Märkte zu gewährleisten.

Bereits ein kurzer Blick auf das gegenwärtige (eingeschränkte) Funktionieren dieses gigantischen digitalen Marktes belegt ein erhebliches und vermutlich nur sehr schwer zu bewältigendes Dilemma. US-Konzerne beherrschen die Szene. Kaum zu widersprechen ist deshalb der grundlegenden Feststellung der Kommission, wie in Erwägungsgrund Nr. 3 des DMA festgehalten: „Einige dieser Unternehmen kontrollieren ganze Plattformökosysteme in der digitalen Wirtschaft, und angesichts dieses strukturellen Vorteils ist es selbst für sehr innovative und effiziente bestehende oder neue Marktteilnehmer extrem schwierig, mit diesen Unternehmen in Wettbewerb zu treten oder ihnen ihre Position streitig zu machen.“ Anders gesagt: Die allein aufgrund der Marktmacht (GAFA) bestehenden Schranken eines Markteintritts neuer, vielleicht sogar wesentlich innovativerer Unternehmen sind fast unüberwindbar hoch. Konsequenz: Der von dem Prinzip des fairen und freien Wettbewerbs (Erwägungsgrund Nr. 5) geprägte Binnenmarkt funktioniert nur sehr begrenzt, wenn denn überhaupt. Das Beispiel des gegenwärtig in Washington gegen Google geführten Kartellverfahrens – auf Zerschlagung des Konzerns gerichtet – ist ständige Warnung, aber auch Mahnung für die Wettbewerbshüter der EU-Kommission. Dem will der DMA mit seinem legislatorischen Ansatz der Bestreitbarkeit digitaler Märkte entgegenwirken, was in der Sache nichts anderes heißt, als dass der digitale Markt offengehalten und für Wettbewerber geöffnet bleiben soll. Die Frage, ob das denn gelingt, führt allerdings zu vielen Fragezeichen.
Das bislang geltende europäische Kartellrecht war kaum in der Lage, einen fairen, aber eben auch bestreitbaren digitalen Markt zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Adressat des DMA sind daher nunmehr die „Gatekeeper“; ein neuer legislatorischer Ansatz. Ausgewählt wurden sie von der Kommission, weil sie als „zentrale Plattformdienste“ jeweils eine Marktmacht haben, welche Art. 3 Abs. 1 DMA als eine „gefestigte und dauerhafte Position“ beschreibt und als „wichtiges Zugangstor zu Endnutzern“ dient. Eine Vermutung für diese rechtliche Einordnung formuliert Art. 3 Abs. 2 u.a. mit dem Merkmal, dass ein solcher „Gatekeeper“ in den drei letzten Geschäftsjahren einen Jahresumsatz von mind. 7,5 Mrd. € aufweist sowie über 45 Mio. Endnutzer in der EU sowie mindestens 10.000 gewerbliche Endnutzer registriert.
Es sind insgesamt 21 Verhaltenspflichten, welche der DMA an die Funktion dieser „Gatekeeper“ knüpft. Es geht hierbei, um nur zwei markante Beispiel herauszugreifen, in Art. 5 Abs. 1 – vorbehaltlich einer Einwilligung des Dateninhabers – darum, die personenbezogenen Daten von Endnutzern nachhaltig zu schützen. Sie dürfen daher nicht „zum Zweck des Betriebs von Online-Werbediensten“ verarbeitet oder mit weiteren aus „zentralen Plattformdiensten“ stammenden personenbezogen Daten zusammengeführt, aber auch nicht mit anderen vom „Gatekeeper“ getrennt bereitgestellten Diensten weiterverwendet werden. Gegenüber gewerblichen Endnutzern – das ist das zweite Beispiel – greift das Verbot des Art. 3 Abs. 3: Der „Gatekeeper“ darf diese nicht daran hindern, „Endnutzern dieselben Produkte oder Dienstleistungen über Online-Vermittlungsdienste Dritter oder über ihre eigenen direkten Online-Vertriebskanäle zu anderen Preisen oder Bedingungen anzubieten als über die Online-Vermittlungsdienste des Torwächters“. Zudem bestimmt beispielsweise Art. 6 Abs. 7 DMA, dass der „Gatekeeper“ auch die Interoperabilität seines Betriebssystems ermöglichen soll.
Ein ganz wesentlicher weiterer – neuer – Baustein des DMA, der durch die Benennung der „Gatekeeper“ jetzt „scharf“ geschlossen wurde, ist das sog. „private law enforcement“. Wettbewerber, Endnutzer – gleichgültig, ob privat oder gewerblich – sind befugt, die an die „Gatekeeper“ adressierten Verpflichtungen in Verhandlungen mit ihnen, aber auch gegenüber der Kommission und gegenüber Gerichten durchzusetzen und ggf. auch Schadensersatz zu verlangen. Rechtstechnisch beruht die damit in Geltung gesetzte private Rechtsdurchsetzung darauf, dass der DMA als Verordnung unmittelbare Wirkung auch zugunsten des Einzelnen entfaltet, sofern seine Bestimmungen – so die Rechtsprechung des EuGH – klar und eindeutig, unbedingt, vollständig und rechtlich vollkommen ist.
Für den privaten Endnutzer bedeutet dies wegen der stets unglaublich rasch bei diesem eintretenden (immateriellen) Schadensfolgen eines Rechtsverstoßes eines „Gatekeepers“, dass in aller Regel nur Eilrechtsschutz hilfreich ist. In Bezug auf Art. 5 Abs. 1 DMA wird man im Fall eines Missbrauchs personenbezogener Daten ohne weiteres die Direktwirkung dieses unionalen Rechtsakts bejahen können. Ob damit im Fall eines danach begründeten Unterlassungsanspruchs gegen einen „Gatekeeper“ wirklich viel für eine rasche und auch erfolgreiche private Rechtsdurchsetzung gewonnen ist, wird sich erst zeigen müssen. Zweifel sind angebracht. Zielt das private Begehren allerdings auf Ersatz des Schadens, dann muss eine Gesetzeskonkurrenz zu den Vorschriften der DSGVO gegeben sein, weil nur so die Schadensersatzfolge des Art. 82 DSGVO zugunsten des betroffenen Dateninhabers ausgelöst wird.
Im Blick auf die Rechte von Wettbewerbern, die diese nach Maßgabe von Art. 5 und 6 DMA gegenüber einem „Gatekeeper“ im Fall der Verletzung einer Verhaltenspflicht durchsetzen wollen, ergeben sich aus der vom Bundesrat voraussichtlich am 19.9.2023 zu verabschiedenden 11. GWB-Novelle einige neue Handlungsmöglichkeiten des BKartA. Die Regierungsbegründung spricht insoweit allerdings nur von „gewissen (neuen) Spielräumen“, welche der DMA ihr eröffnet. So soll das BKartA und damit auch die deutsche Justiz neben dem primär anwendbaren EU-Kartellrecht einen „ergänzenden Beitrag“ zu den Aufgaben der Kommission und des EuG/EuGH leisten (BT-Drucks. 20/6824 S. 1).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.09.2023 12:27
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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