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EU: Vorschlag einer neuen Verordnung zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs

Am 12.9.2023 hat die EU-Kommission eine neue Verordnung vorgeschlagen (COM/2023/533 final), um der wirtschaftlichen Folgen Herr zu werden, welche die immer mehr sich ausbreitende Unsitte des Zahlungsverzugs im unternehmerischen Verkehr, vor allem auch im Rechtsverkehr mit der öffentlichen Hand, nach sich zieht. Diesem neuen, noch abschließend zu beratenden Rechtsakt liegt – wie stets – eine umfangreiche Tatsachenanalyse („Impact Assessment“) der Kommission zugrunde. Danach (Anmerkung 2) lag die Rate pünktlicher Zahlungen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie bereits bei mageren 40 %. Doch die Lage hat sich seither verschlechtert. Die Auswirkungen der Inflation machen sich breit: Im ersten Halbjahr 2022 erwarteten nach dieser Erhebung der EU-Kommission 60 % aller Unternehmen, dass sich die Risiken verspäteter Zahlungen noch verschärfen werden. Hohe Zinsen sind bekanntlich Gift für die Zahlungsmoral von Schuldnern. Doch – so die Kommission – es sind vor allem die KMU, die unter den Folgen verspäteter Zahlungen leiden; sie haben – im Gegensatz zur öffentlichen Hand und zu Großunternehmen – regelmäßig keine ausreichenden Reserven an liquiden Mitteln. Und die Unsicherheiten, wann geschuldete Zahlungen eingehen, belasten ihr Tagesgeschäft, aber auch die Planung von notwendigen Investitionen – und sie zeigen auch Auswirkungen auf die Beschäftigungslage. Erkennbar steigt dann auch das Risiko von Insolvenzen, zumal dann, wenn sich ein Zahlungsverzug in der Lieferkette Glied für Glied fortsetzt und am Ende das schwächste Unternehmen als letztes Glied trifft. Dies alles war und ist für die Kommission – gestützt auf die Binnenmarktregel des Art. 114 AEUV – Grund genug, die Zweite Zahlungsverzugs-RL 2011/7/EU gründlich zu überarbeiten – und vor allem: sie wesentlich zu verschärfen.

Der Anwendungsbereich dieses VO-E bezieht sich auf den gesamten unternehmerischen Verkehr, aber auch auf die Vertragsbeziehungen, welche zwischen der öffentlichen Hand (Geldschuldner) und einem Unternehmen im Rahmen von Kauf- und Dienstverträgen (Bau- und Ingenieurverträge eingeschlossen) abgeschlossen werden (Art. 1). Verbraucherverträge sind nicht erfasst. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist, dass die nunmehr vorgesehenen Regeln zwingendes Recht enthalten (Art. 3). Demgegenüber enthielt die Vorgänger-RL 2011/7/EU in Art. 7 noch eine AGB-rechtliche Generalklausel. Danach galt, dass alle Klauseln, die sich auf Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Zahlungsverzugs beziehen (Zahlungstermine, Höhe der Verzugszinsen oder Beitreibungskosten), dann nicht als wirksam qualifiziert werden, wenn sie für den Gläubiger „grob nachteilig“ sind. Dies ist immer dann zu bejahen, wenn unter Beachtung aller Umstände die Klausel „von der guten Handelspraxis grob“ abweicht und „gegen den Grundsatz des guten Glaubens und der Redlichkeit verstößt“.
Doch in Zukunft herrscht nur noch zwingendes Recht. Nach Art. 3 Abs. 1 VO-E ist die Zahlungsfrist, wenn denn die Güter geliefert und die geschuldeten Dienste erbracht worden sind, ohne Wenn und Aber 30 Tage. Ausnahmsweise kann eine besondere Frist für eine als erforderlich erachtete (gesetzlich aber zu verankernde) Abnahme und eine Rechnungsprüfung vorgesehen werden. Doch diese darf nach Art. 3 Abs. 3 nicht dazu führen, die Höchstfrist („maximum duration“) von 30 Tagen nach Abs. 1 zu verlängern. Dem nationalen Recht bleibt es vorbehalten, noch kürzere Zahlungsfristen als 30 Tage vorzuschreiben. Eine besondere Regel greift zugunsten der Unterlieferanten im Rahmen von Aufträgen der öffentlichen Hand ein (Art. 4). Hier sind die Vertragspartner in ihrer Funktion als Geldschuldner verpflichtet, den Nachweis gegenüber der öffentlichen Hand als Auftraggeber zu führen, dass sie ihren unmittelbaren Subunternehmer nach Maßgabe von Art. 3 pünktlich bezahlt haben, was der Geldschuldner schriftlich bestätigen muss. Wird eine solche Bestätigung nicht erteilt, dann sieht Art. 4 Abs. 2 vor, dass der Generalunternehmer das Recht hat, unverzüglich eine neu einzurichtende Behörde („enforcement authority“) einzuschalten (Art. 12), was noch im Einzelnen auszuleuchten ist.
Nach Art. 6 beträgt der Verzugszinssatz 8 % über dem Referenzzins der EZB, sofern die Vertragswährung der Euro ist. Die maßgebenden Zeitpunkte sind der 1.1. bzw. der 1.7. eines Kalenderjahres. Ist eine Ratenzahlung vereinbart, dann bestimmt Art. 7, dass sich der Verzugszins nach dem jeweils ausstehenden Betrag bemessen soll. Art. 8 bestimmt, dass der Gläubiger berechtigt ist, in jedem einzelnen Fall eines Verzugs eine Beitreibungspauschale von nunmehr 50 € zu erhalten; bislang waren es „nur“ 40 €. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass es insoweit keiner Mahnung oder einer wie auch immer gearteten Zahlungserinnerung bedarf (Art. 8 Abs. 2). Auch soll der Gläubiger kein Recht haben, auf die Geltendmachung dieser Kosten zu verzichten (Art. 8 Abs. 3). Zudem hat er das Recht, nach Art. 8 Abs. 4 einen weitergehenden Verzugsschaden geltend zu machen, sofern er den entsprechenden Nachweis führt.
Ausdrücklich normiert Art. 9 nochmals, dass alle Rechte des Gläubigers, die in dem VO-E zu seinen Gunsten vorgesehen sind, zwingendes Recht enthalten. Im Sinn des unionsrechtlichen effet utile bestimmt dann aber auch Art. 9 Abs. 2, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, „angemessene und effektive Mittel“ einzusetzen, um die Erfüllung der zwingenden Verzugsregeln in Art. 9 Abs. 1 in ihrem nationalen Recht durchzusetzen. Wie sich aus dem nachfolgenden Absatz ergibt, sind damit „Einrichtungen“ (Behörden) gemeint, welche amtlich anerkannt sind, gebündelte Gläubigerinteressen vertreten und auch vor den nationalen Gerichten klagebefugt sind. Ob hier eine neue Behörde ins Leben gerufen wird oder ob der Gesetzgeber einfach auf die Norm des § 3 Abs. 2 und 3 UKlaG zurückgreift und damit rechtsfähigen Verbänden sowie den Industrie- und Handelskammern weitere Klagebefugnisse einräumen wird, bleibt abzuwarten. Für den Bereich des AGB-Rechts und die Durchsetzung von Unterlassungsklagen gegen unwirksame AGB im unternehmerischen Verkehr hat sich diese Konzeption bislang nicht wirklich bewährt, jedenfalls nicht so, dass diesen klagebefugten „Einrichtungen“ das Gütesiegel verliehen werden könnte, im Sinn des unionsrechtlichen Grundsatzes der Effektivität ihre Bewährungsprobe in den vergangenen Jahrzehnten bereits bestanden zu haben.
Art. 12 bestimmt, dass für unbestrittene Geldforderungen ein vollstreckbarer Titel innerhalb einer Frist von 90 Tagen erteilt werden muss. Das könnte für die Ressourcen der Gerichte eine veritable Herausforderung werden. Nicht minder wichtig ist, dass Art. 13 die bereits kurz angesprochene (neue) Kompetenz für amtliche Stellen schafft, deren Aufgabe es ist, diese Verordnung in allen Teilen auch effektiv durchzusetzen („enforcement authorities“). Vor allem sollen sie nach Art. 13 Abs. 2 das Recht haben, die Beachtung der Zahlungsfristen von 30 Tagen mit Hilfe geeigneter Maßnahmen gegenüber Schuldnern durchzusetzen. Weiter wird ihnen auch die Kompetenz zugewiesen, mit diesen neuen Behörden in anderen Mitgliedstaaten effektiv zusammenzuarbeiten; auch grenzüberschreitende Untersuchungen dürfen und sollen sie durchführen (Art. 13 Abs. 3). Die Einzelheiten sind in Art. 14 aufgelistet. Sie müssen danach vor allem auch Beschwerden nachgehen und sind gehalten, selbst unangemeldete Untersuchungen vor Ort bei Unternehmen durchzuführen. Im Rahmen dieser Kompetenz sind sie auch befugt, Untersagungsverfügungen gegenüber säumigen Geldschuldnern auszusprechen. Ihre Entscheidungen werden öffentlich gemacht – blame and shame. Aber nicht nur das: Art. 14 Abs. 2 verleiht diesen Behörden auch das Recht, bei Zuwiderhandlungen Geldbußen zu verhängen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.09.2023 14:46
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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