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Klimaneutralität als Zielvorgabe für Unternehmen (Weller/Hößl/Seemann, ZIP 2024, 209)

Bis 2045 hat die Bundesrepublik klimaneutral zu sein. Dies betrifft nicht nur den Staat als solchen; vielmehr übertragen die europäischen Nachhaltigkeitsrichtlinien CSRD, CSDDD und jüngst auch § 18 EnEfG die Klimaneutralität als Zielvorgabe auf Unternehmen. „Klimaneutralität“ ist freilich ein naturwissenschaftlich umstrittener Maßstab, der als zentraler Rechtsbegriff indes einer klaren Konturierung bedarf. Der nachfolgende Beitrag unternimmt eine erste Standortbestimmung und ordnet die zahlreichen Rechtsquellen. Ein zweiter Beitrag wird versuchen zu definieren, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen „klimaneutral“ ist.

I. Einführung
II. Klimaneutralität als Zielvorgabe für Staaten

1. Völkerrechtliche Emissionsreduktionsverpflichtungen
a) Klimarahmenkonvention von Rio de Janeiro (1992)
b) Kyoto-Protokoll (1997)
c) Pariser Klimaabkommen (2015)
2. Unionsrechtliche Entwicklung des Ziels der Klimaneutralität
a) Nationally Determined Contribution der EU und ihrer Mitgliedstaaten
b) Europäisches Klimagesetz (2021) im Kontext des European Green Deal (2019)
3. Klimaneutralitätsziel im nationalen öffentlichen Recht
a) Klimaneutralität als Zielvorgabe des Verfassungsrechts
b) Bundes-Klimaschutzgesetz (2019)
III. Klimaneutralität als Zielvorgabe für Unternehmen
1. Corporate Sustainability Reporting-Directive
2. Corporate Sustainability Due Diligence-Directive
3. Green Claims-Directive
4. Energieeffizienzgesetz
IV. Würdigung der Entwicklung
V. Zusammenfassung in Thesenform


I. Einführung

„Klimaneutralität“ ist spätestens seit dem Europäischen Green Deal von 2019 ein zentraler Begriff in den Anstrengungen zur Bekämpfung des anthropogenen Klimawandels. Mit der VO (EU) 2021/1119, die den offiziellen Titel „Europäisches Klimagesetz“ trägt (EU-Klimagesetz), ist die Erreichung des Zustands der Klimaneutralität sogar zu einer rechtlich verbindlichen Zielvorgabe der Europäischen Union und damit auch ihrer Mitgliedstaaten geworden (unter II). Das zunächst staatenbezogene Ziel wird neuerdings auch auf Unternehmen übertragen. Dies erhellen erstens die beiden Nachhaltigkeitsrichtlinien im EU-Gesellschaftsrecht, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), sowie zweitens das deutsche Energieeffizienzgesetz, das in § 18 EnEfG neuerdings explizit „klimaneutrale Unternehmen“ adressiert. Gleichzeitig greifen die Green Claims und die Empowering Consumers Directive in ihrem Bestreben, Umweltaussagen strenger zu regulieren, auch den Begriff und das Ziel der Klimaneutralität auf (unter III).

Folgerichtig wäre es, auch das nationale Gesellschaftsrecht um Instrumente zu ergänzen, welche der Klimaneutralität als neuer Zielvorgabe für Unternehmen Rechnung tragen. Ein „Greening Corporate Law“ schlagen jedenfalls Stimmen aus der Literatur sowie das Gutachten für den 74. Deutschen Juristentag im September 2024 vor. Insgesamt ist die sektorübergreifende Einbeziehung von Großunternehmen bei der Klimatransformation jedenfalls zu begrüßen (unter IV).

II. Klimaneutralität als Zielvorgabe für Staaten
Prominent vorgegeben ist das „Ziel der Klimaneutralität“ in Art. 2 EU-Klimagesetz. Gemäß Art. 2 EU-Klimagesetz sollen die unionsweiten Treibhausgasemissionen bis spätestens 2050 auf „netto null“ reduziert sein. Das Jahr 2050 hat einen naturwissenschaftlichen Hintergrund: Nach dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist die Einhaltung des im Pariser Klimaabkommen festgeschriebenen 1,5 °C-Ziels nur dann realistisch, wenn bis spätestens 2050 die CO2-Emissionen der Welt ein Maß von „net zero“ erreichen. Neben diesen völkerrechtlichen Emissionsreduktionsverpflichtungen (unter 1) und dem unionsrechtlichen Klimaschutzrecht (unter 2) sieht das nationale Verfassungs- und Klimaschutzrecht das Ziel der Klimaneutralität konkret für die Bundesrepublik vor (unter 3): So leitet das BVerfG eine Pflicht zur Erreichung von Klimaneutralität aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ab. Einfachgesetzlich hat der deutsche Gesetzgeber das Klimaneutralitätsziel im Bundesklimaschutzgesetz (KSG) aufgegriffen.

1. Völkerrechtliche Emissionsreduktionsverpflichtungen
Die Zielvorgabe der Klimaneutralität im öffentlichen Recht ist eine konsequente Umsetzung der völkerrechtlichen Emissionsreduktionsverpflichtungen der letzten 20 Jahre. Denn letztlich impliziert Klimaneutralität die Reduktion von Treibhausgasemissionen.

a) Klimarahmenkonvention von Rio de Janeiro (1992)
Die Bekennung zu einem kooperativen Umweltschutz und einem dahingehenden Strukturwandel des Völkerrechts kommt insbesondere bei der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development – UNCED) von Rio de Janeiro (1992) zum Ausdruck. Eines der dort verabschiedeten Dokumente ist die Klimarahmenkonvention der UN (United Nations Framework Convention on Climate Change – UNFCCC). Dieser völkerrechtliche Vertrag bildet bis heute die Grundlage des internationalen Klimaschutzregimes: Die Staatengemeinschaft erkennt den Klimawandel erstens als Problem an und verpflichtet sich zweitens zum Handeln. Entsprechend Art. 7 Abs. 4 der Klimarahmenkonvention findet seit ihrem in Kraft treten jährlich die Konferenz der Vertragsstaaten (Conference of the Parties – COP) statt, „das wichtigste Forum für die internationalen Klimaschutzverhandlungen“. Nach Art. 2 Klimarahmenkonvention soll die atmosphärische Treibhausgaskonzentration auf einem Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert.

b) Kyoto-Protokoll (1997)
Auf der dritten Conference of the Parties (bezeichnet als „COP 3“) in Kyoto wurde im Jahr 1997 das Kyoto-Protokoll unterschrieben; es trat am 16.2.2005 in Kraft. Das Kyoto-Protokoll operationalisiert die Klimarahmenkonvention, indem es zum ersten Mal...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.02.2024 14:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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