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Die Telefonnummer und die Widerrufsbelehrung beim Fernabsatz - Zu den Folgen schlechter Richtlinienumsetzung (Schmidt-Kessel, ZIP 2024, 272)

Die Vorgaben für die maßgebenden Kommunikationsmittel sind ein Musterbeispiel für Qualitätsprobleme in der europäischen wie deutsche Widerrufsgesetzgebung. Insbesondere wann seitens des Unternehmers in der Widerrufsbelehrung anzugeben ist oder war, lässt sich weder durch einen Blick ins Gesetz noch durch Konsultation von Rechtsprechung und Schrifttum hinreichend sicher beantworten. Der nachfolgende Beitrag legt unionsrechtlich wie umsetzungsrechtlich dar, dass es für die von den beiden EuGH-Entscheidungen behandelten Fassungen der Richtlinie und deren Umsetzungsnormen kein allgemeines Erfordernis der Angabe einer Telefonnummer in der Verbraucherinformation und in der Widerrufsbelehrung gibt. Das gilt auch für die Situationen der vorherigen Angabe der Telefonnummer auf der Website, und zwar für die allgemeine Informationspflicht und erst recht für die Anforderungen an die Widerrufsbelehrung.

I. Einleitung
II. Funktionen der Widerrufsbelehrung und des Belehrungsmusters
III. Die EU-rechtliche Rechtslage

1. Sperrwirkung qua Wortlaut
2. Gesichtspunkte aus der Gesetzeshistorie
3. Ausschluss qua systematischer Betrachtung
4. Regelungszweck gegen Telefonnummer
5. Auslegung im Lichte grundrechtlicher Vorgaben
6. Denkbare Ausnahmefallgruppen?
IV. Die Lage nach deutschem Umsetzungsrecht
1. Die Umsetzung 2014 mit abweichendem Wortlaut
2. Die Auffassungen nach 2014
3. Reaktionen auf die EuGH-Rechtsprechung
4. Die Lage nach deutschem Umsetzungsrecht 2014–2022
V. Zusammenfassung


I. Einleitung

Das Recht des verbraucherschützenden Widerrufs ist kein Musterbeispiel guter Legistik oder gar geglückter Richtlinienumsetzung. Die anspruchsvollen und nicht immer kohärenten Richtlinienvorgaben, deren Einhaltung in der Praxis regelmäßig durch lange Widerrufsfristen und engbegrenzte Rückgewähr- und Ausgleichsansprüche des Unternehmers sanktioniert werden, haben – trotz Mahnungen aus der Wissenschaft – durch Defizite der Richtlinienumsetzung in das deutsche Recht eine überflüssige zusätzliche Verkomplizierung erfahren.

Dieser Befund eines legistisch defizitären Rechtszustands gilt nicht zuletzt für die Anforderungen an die Widerrufsbelehrung; bei diesen haben sich der europäische, wie der nationale Gesetzgeber sogar veranlasst gesehen, Musterbelehrungen auszuarbeiten, deren ordnungsgemäße Verwendung dem Unternehmer die Ordnungsgemäßheit der Widerrufsbelehrung durch eine Gesetzlichkeitsfiktion sichern soll. Diese Musterbelehrungen sind ein besonderes Zeugnis der überbordenden Komplexität der gesetzlichen Anforderungen, denen selbst die Muster in einer Reihe von Fällen nicht gerecht werden respective geworden sind. Die kurze Abfolge von Änderungen bei Belehrungsanforderungen und Musterbelehrungen sind ein weiterer Beleg für die gesetzgeberischen Qualitätsdefizite beider Ebenen.

Geradezu ein Musterbeispiel für die Qualitätsprobleme der Widerrufsgesetzgebung sind die Vorgaben für die maßgebenden Kommunikationsmittel, unter denen die Frage nach dem Erfordernis der Angabe einer Telefonnummer mit gleich mehreren EuGH-Entscheidungen eine besondere Prominenz aufweist. Weder die Entwicklung der Richtlinientexte noch die Umsetzung und deren Anwendungspraxis können insoweit als geradlinig oder kohärent bezeichnet werden. Wann seitens des Unternehmers in der Widerrufsbelehrung eine Telefonnummer anzugeben ist oder war, lässt sich weder durch einen schlichten Blick ins Gesetz noch durch eine kurze Konsultation der Kommentarliteratur und der einschlägigen EuGH-Entscheidungen hinreichend sicher beantworten. Insbesondere benennt die maßgebende Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 lit. h VerbraucherrechteRL 2011/83/EU kein solches Erfordernis der Angabe einer Telefonnummer, sondern beschränkt sich auf „Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung“ als Anforderungen an die Belehrung.

Vor allem zur Rechtslage vor der Novellierung der VerbraucherrechteRL 2011/83/EU durch die sog. OmnibusRL (EU) 2019/2161 mit Wirkung zum 7.1.2020 und deren Umsetzung durch Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 EGBGB n.F. mit Wirkung zum 28.5.2022 haben die bereits angesprochenen EuGH-Entscheidungen trotz sachdienlicher Vorlagen des BGH erhebliche Unsicherheiten hinterlassen, die sich nicht zuletzt aus den verschiedenen Entscheidungskontexten – Unterlassungsklagen zur Informationspflicht nach Art. 6 Abs. 1 lit. c VerbraucherrechteRL sowie zur Muster-Widerrufsbelehrung der VerbraucherrechteRL – aber auch aus Begründungsschwächen der jüngeren der beiden Entscheidungen ergeben.

Bedarf und bedurfte es bei Vertragsschlüssen in Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträgen für diesen Zeitraum der Angabe einer Telefonnummer oder nicht? Art. 6 Abs. 1 lit. c VerbraucherrechteRL 2011/83/EU a.F. (im Folgenden VerbraucherrechteRL 2011) und dessen Umsetzung in Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EGBGB a.F. (im Folgenden EGBGB 2014) divergieren insoweit schon hinsichtlich des Wortlauts. Unklar bleiben auch die Muster-Widerrufsbelehrungen in Anhang I VerbraucherrechteRL 2011 und in Anlage 1 EGBGB 2014. Die Kernregelungen zur Widerrufsbelehrung in Art. 6 Abs. 1 lit. h VerbraucherrechteRL und in Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB 2014 äußern sich hingegen gar nicht oder jedenfalls nicht bestimmt. Diese Unklarheiten sind auch deshalb besonders misslich, weil es sich jeweils um Akte der EU-rechtlichen Vollharmonisierung und deren nationale Umsetzungen handelt.

Als Beitrag zur Klärung werden die folgenden Überlegungen unionsrechtlich wie umsetzungsrechtlich darlegen, dass es für die von den beiden EuGH-Entscheidungen behandelten Fassungen der Richtlinie und deren Umsetzungsnormen kein allgemeines Erfordernis der Angabe einer Telefonnummer in der Verbraucherinformation und in der Widerrufsbelehrung gibt. Das gilt auch für die Situationen der vorherigen Angabe der Telefonnummer auf der Website, und zwar sowohl für Art. 6 Abs. 1 lit. c VerbraucherrechteRL 2011 und erst recht für die Anforderungen an die Widerrufsbelehrung nach Art. 6 Abs. 1 lit. h VerbraucherrechteRL 2011.

Zur Begründung dieser Thesen sollen zunächst die Funktionen von Widerrufsbelehrung und Belehrungsmuster näher beleuchtet werden (II), bevor es um die Rechtslage unter der VerbraucherrechteRL 2011 und damit um die EU-rechtlichen Vorgaben für die Richtlinienumsetzung gehen wird (III). Erst auf dieser Basis kann es sachgerecht um eine Erörterung des Umsetzungsrechts gehen (IV), bevor eine Zusammenfassung (V) diesen Beitrag abschließt.

II. Funktionen der Widerrufsbelehrung und des Belehrungsmusters
Die Widerrufsbelehrung ist EU-rechtlich Teil der allgemeinen Informationspflichten für Außergeschäftsraum- und Fernabsatzverträge in Art. 6 VerbraucherrechteRL 2011. Allerdings geht es dabei nicht allein um die Vorbereitung einer hinreichend informierten Entscheidung über den Vertragsschluss – so bekanntlich das nicht unbedingt realistische Kernziel der standardisierten Informationspflichten –, sondern auch um ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.02.2024 10:25
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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