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BGH v. 12.3.2024 - XI ZR 159/23

Zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB in einem "negativen" Zinsumfeld

Der Darlehensgeber soll durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt werden, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Der mit der Aktiv-Passiv-Methode berechnete Zinsverschlechterungsschaden umfasst daher auch die bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen anfallenden negativen Renditen.

Der Sachverhalt:
Die Parteien hatten am 17.4.2009 einen Immobiliar-Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag i.H.v. 350.000 € abgeschlossen. Mit einer Anschlusszinsvereinbarung Anfang 2014 verlängerten sie die Zinsbindung bis zum 30.4.2024. Für die auf Wunsch des Klägers erfolgte vorzeitige Darlehensrückzahlung stellte ihm die Beklagte eine Vorfälligkeitsentschädigung i.H.v. rund 33.317 € nebst Kosten i.H.v. 150 € in Rechnung, die der Kläger im Juni 2021 zahlte. Die Vorfälligkeitsentschädigung umfasste in der Berechnung der Beklagten auch einen Anteil für "negative Zinsen" i.H.v. rund 2.600 €.

Die auf Zahlung von 33.317 € nebst Verzugszinsen und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hat erstinstanzlich i.H.v. 2.750 € Erfolg gehabt. Das OLG hat den Zahlungsanspruch auf 2.600 €, d.h. auf den Anteil für "negative Zinsen" begrenzt. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gründe:
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB. Die Beklagte hat die Vorfälligkeitsentschädigung insgesamt mit Rechtsgrund erlangt.

Zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass eine Bank den Schaden, der ihr durch die Nichtabnahme oder durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entsteht, sowohl nach der Aktiv-Aktiv-Methode als auch nach der Aktiv-Passiv-Methode berechnen kann. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat es angenommen, dass sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers bei der von der Beklagten gewählten Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode als Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei vereinbarungsgemäßer Durchführung des Darlehensvertrags tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite darstellt, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der freigewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Vorfälligkeitsentschädigung abzuzinsen.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass der Bank bei vorzeitiger Rückzahlung im derzeitigen negativen Zinsumfeld ein höherer Schaden entsteht, als sie im Falle der vertraglichen Erfüllung Zinsen verlangen könnte. Der Darlehensgeber soll durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt werden, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Die vom Darlehensnehmer in solchen Fällen angestrebte Änderung des Darlehensvertrags erschöpft sich somit letztlich in der Beseitigung der vertraglichen - zeitlich begrenzten - Erfüllungssperre, d.h. in einer Vorverlegung des Erfüllungszeitpunkts. Der mit der Aktiv-Passiv-Methode berechnete Zinsverschlechterungsschaden umfasst daher auch die bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen anfallenden negativen Renditen. Diese sind Ausdruck der im Rückzahlungszeitpunkt bestehenden Zinslandschaft, der sich die Bank aufgrund der vorzeitigen Vertragserfüllung ausgesetzt sieht.

Der vom OLG angestellte Vergleich der Aktiv-Aktiv-Methode mit der Aktiv-Passiv-Methode war unbehelflich. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt der Bank zwischen beiden Berechnungsmethoden ein Wahlrecht zu (vgl. Urt. v. 5.11.2019 - XI ZR 650/18), wobei die Aktiv-Passiv-Methode darüber hinweghilft, dass es einer Bank häufig nicht möglich oder zumutbar ist, durch eine vorzeitige Darlehensablösung frei gewordene Mittel laufzeitkongruent in gleichartige Darlehen anzulegen. Sie gestattet der Bank daher, ihren Nichterfüllungsschaden oder ihre Vorfälligkeitsentschädigung auf der Grundlage einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der frei gewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln zu berechnen. Dies gilt unabhängig vom jeweiligen Zinsumfeld. Entgegen der Auffassung des OLG führen die Gesetzgebungsmaterialien zu keinem anderen Ergebnis.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Unwirksamkeit der in den AGB einer Sparkasse enthaltenen Bestimmung über ein Bearbeitungsentgelt für die Ablösung von Kundendarlehen
BGH vom 10.9.2019 - XI ZR 7/19
WM 2019, 2161

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.04.2024 11:46
Quelle: BGH online

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