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Die (geplante) Neufassung von § 32b ZPO im Rahmen der Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (Jungmann, ZIP 2024, 973)

Im Rahmen des jüngst angestoßenen Gesetzgebungsprozesses zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) soll auch der ausschließliche Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) neugefasst werden. Damit ist die Absicht verbunden, der Norm einen Anwendungsbereich zu geben, der mit dem des reformierten KapMuG identisch ist, und den Grad der Konzentration der örtlichen Zuständigkeit von ggf. in ein Kapitalanleger-Musterverfahren mündenden Klagen bei einem einzigen Gericht zu erhöhen. Das sind sinnvolle Ziele. Doch würde die nach dem Regierungsentwurf angestrebte Fassung von § 32b ZPO auch die verabschiedete, würden sie (in weiten Teilen) nicht erreicht. Es bedarf einer Korrektur im weiteren Gesetzgebungsverfahren, wofür im Folgenden ein konkreter Vorschlag gemacht wird.

I. Einleitung
II. Historie und Normzweck von § 32b ZPO
III. Der beabsichtigte Abschied vom Kriterium eines erforderlichen Klagegegners

1. Ratio der Einfügung des Kriteriums „erforderlicher Klagegegner“
2. Ratio der (Wieder-)Abschaffung des Kriteriums
3. Kritik und rechtspolitische Bewertung
IV. Die geplante dynamische Verweisung auf das KapMuG und die Bezugnahme auf Art. 75 Abs. 8 MiCAR
1. Verwahrung von Kryptowerten ohne Emittenten etc.
2. Verwahrung von von Emittenten bzw. von Anbietern von sonstigen Vermögensanlagen herausgegebenen Kryptowerten
3. Verwahrung verschiedener Arten von Kryptowerten
V. Die geplante dynamische Verweisung auf das KapMuG bei erneuten Erweiterungen dessen Anwendungsbereichs in der Zukunft
VI. Fazit und Vorschlag einer vorzugswürdigen Fassung von § 32b ZPO


I. Einleitung

Die Bundesregierung hat am 15.3.2024 ihren Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (im Folgenden: „Regierungsentwurf“ bzw. „RegE“) vorgelegt. Gemäß dessen Art. 4 soll § 32b Abs. 1 ZPO wie folgt neugefasst werden: „Für Klagen, in denen ein in § 1 Absatz 1 des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes genannter Anspruch geltend gemacht wird, ist das Gericht ausschließlich am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft zuständig, wenn sich dieser Sitz im Inland befindet.“ Zudem soll der damit in Bezug genommene § 1 Abs. 1 KapMuG um eine neue Nr. 4 ergänzt werden, nach welcher das KapMuG in seiner beabsichtigten Neufassung auch anwendbar ist, wenn Schadensersatzansprüche nach Art. 75 Abs. 8 MiCAR geltend gemacht werden.

Würde es im weiteren Gesetzgebungsverfahren bei diesen beiden Änderungen bleiben, hätte das für den „Ausschließlichen Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen“ – so die derzeitige amtliche Überschrift von § 32b ZPO (vgl. aber noch VI) – die folgenden Implikationen: Erstens hinge das Eingreifen dieses ausschließlichen Gerichtsstands nicht länger davon ab, dass eine Klage „zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet wird“, was zu einer Vergrößerung des Anwendungsbereichs von § 32b ZPO führen würde. Das ist eine rechtspolitische Kehrtwende, die bislang zwar eher kritisch bewertet wird, die aber primär unter rechtspolitischen Gesichtspunkten zu diskutieren ist (dazu unter III).

Zweitens – und viel wichtiger – würde durch den Abschied von der enumerativen Aufzählung der von § 32b Abs. 1 ZPO erfassten Klagen und durch die Einführung einer dynamischen Verweisung auf das KapMuG nicht lediglich eine weitere Vergrößerung des Anwendungsbereichs von § 32b ZPO (aufgrund der Ausweitung des Anwendungsbereichs des KapMuG) erreicht. Vielmehr würde § 32b ZPO in vielen Fällen mit erheblicher Rechtsunsicherheit belastet, weil das zuständigkeitsrechtliche Abstellen auf den „Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft“ in Bezug auf die geplante neue Nr. 4 in § 1 Abs. 1 KapMuG entweder leerläuft oder keinen Sinn ergibt (dazu unter IV) und weil bei etwaigen zukünftigen Erweiterungen des Anwendungsbereichs des KapMuG die Dinge ähnlich gelagert sein können (dazu unter V). § 32b ZPO sollte daher nicht wie im Regierungsentwurf vorgesehen, sondern in anderer Weise neugefasst werden (dazu unter VI).

II. Historie und Normzweck von § 32b ZPO
§ 32b ZPO ist eine vergleichsweise junge Regelung in den Gerichtsstandbestimmungen der Zivilprozessordnung; erst seit dem Jahr 2005 findet sie sich dort. Sie lässt sich nur im Zusammenhang mit dem (nahezu) zeitgleich in Kraft getretenen KapMuG und nicht ohne die zu diesem Gesetz führende rechtspolitische Diskussion um die Schaffung prozessualer Möglichkeiten zur wirkungsvollen Durchsetzung von Anlegerrechten verstehen. Denn wenn Ansprüche im Rahmen einer kollektiven Rechtsverfolgung „gebündelt“ durchgesetzt werden sollen, bedarf es einer entsprechenden prozessualen „Kanalisierung“, wofür ein möglichst einheitlicher Gerichtsstand die wohl beste Lösung ist.

Der wichtigste Regelungszweck von § 32b ZPO besteht damit in einer das Niveau des Anlegerschutzes verbessernden Zuständigkeitskonzentration. Anders als ursprünglich vorgeschlagen, wurde insofern aber nicht auf den „Ort der gewerblichen Niederlassung des Beklagten“, sondern auf den Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft abgestellt. Der Gesetzgeber hielt dies für gerechtfertigt, weil er der Auffassung war, dass so in den von § 32b ZPO erfassten Klagen auf „Unternehmensdaten und die verlautbarten ad hoc-Mitteilungen am Sitz des Unternehmens [scil.: auf welche sich falsche, irreführende oder unterlassene Kapitalmarktinformationen beziehen] zurückgegriffen“ werden könnte und sich die Beiziehung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakten leichter gestalte.

Dieses „Beweisnähe“-Argument war schon immer – nämlich auch vor dem Hintergrund der bereits zur Zeit der KapMuG-Beratungen bestehenden Möglichkeiten elektronischer Kommunikation – ein schwaches. Angesichts des heutigen Stands der Digitalisierung und insbesondere angesichts von § 15 KapMuG-RegE, nach welchem die Prozessakten des erstinstanzlichen Musterverfahrens ab Januar 2025 elektronisch geführt werden müssen, hat es praktisch jede Überzeugungskraft verloren. Es überrascht, dass der Gesetzgeber es in der aktuellen Reformphase offenbar nicht kritisch hinterfragt (hat).

Nachdem § 32b ZPO anfangs als nur temporär – nämlich bis zum ursprünglich bestimmten Zeitpunkt des Außerkrafttretens des KapMuG am 1.11.2010 bzw. 1.12.2012 – geltende Norm konzipiert wurde, ist sein Fortbestand schon seit mehr als 10 Jahren unabhängig vom Fortbestand des KapMuG selbst. Ebenso lange – nämlich seit 2012 – enthält die Vorschrift die heute in § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu findende Regelung sowie ebenjenen Zusatz („und die Klage zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet wird“), der nunmehr wieder gestrichen werden soll.

III. Der beabsichtigte Abschied vom Kriterium eines erforderlichen Klagegegners

1. Ratio der Einfügung des Kriteriums „erforderlicher Klagegegner“

Im Jahr 2012 hielt der Gesetzgeber eine einschränkende Formulierung in § 32b Abs. 1 ZPO a.E. für geboten. Das ist nur vor dem Hintergrund des damaligen Reformansatzes zu verstehen: Einerseits sollte eine Lücke im Anwendungsbereich von § 32b ZPO (in dessen ursprünglicher Fassung) geschlossen werden, die dadurch bedingt war, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Verwendung von öffentlichen Kapitalmarktinformationen z.B. durch einen Anlageberater oder -vermittler nicht von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfasst wird, und zwar auch dann nicht, wenn sich solche Berater bzw. Vermittler bei ihrem Tätigwerden gegenüber dem Kapitalanleger auf öffentliche Kapitalmarktinformationen bezogen haben. Diesem gesetzgeberischen Ziel diente die Einfügung der (heutigen) Nr. 2 in § 32b Abs. 1 ZPO, wonach auch Schadensersatzansprüche wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder  ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.05.2024 08:55
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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