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Die Bestimmung des Unternehmenswertes als Rechtsproblem (Risse, ZIP 2021, 2309)

Die Frage nach dem Wert eines Unternehmens stellt sich nicht nur im Zuge von kommerziellen Verhandlungen um einen Unternehmenskauf. Kommt es nach einem Unternehmenskauf oder im Gefolge von Strukturmaßnahmen wie Squezze-outs zu Streitigkeiten, wird die Bestimmung des Unternehmenswertes schnell zum Rechtsproblem. Der Beitrag stellt zunächst verschiedene Herangehensweisen vor, wie ein Unternehmenswert näherungsweise bestimmt werden kann. Im Mittelpunkt steht dann eine Auseinandersetzung mit der in Praxis vorherrschenden Ertragswertmethode und dem insoweit dominierenden Modell IDW S 1.

I. Einleitung: Rechtliche Relevanz des Unternehmenswertes
II. Überblick: Alternativen der Unternehmensbewertung

1. Ableitung des Unternehmenswertes aus der Bilanz
2. Übernahme des Börsenwertes als Unternehmenswert
3. Die Multiple-Betrachtung – Bewerten durch Vergleichen
4. Die Ertragswertberechnung und die Discounted Cash Flow-Analyse
5. Zusammenfassung
III. Die Unternehmensbewertung nach dem Standard IDW S 1
1. Schritt 1: geplante Gewinne als Aufsatzpunkt
1.1 Detailplanung für drei bis fünf Jahre
1.2 Statische Gewinnannahme („ewige Rente“) nach Detaillierungszeitraum
1.3 Sonderproblem: Einpreisung von Synergieeffekten?
1.4 Unternehmerisches Ermessen bei der Geschäftsplanung
1.5 Zwischenergebnis
2. Schritt 2: Bestimmung des Zinssatzes für die Abzinsung der zukünftigen Gewinne
2.1 Ein wenig Mathematik: die Abzinsungsformel
2.2 Bestimmung des Zinssatzes für die Abzinsung: der CAPM-Ansatz
2.2.1 Bestimmung des risikolosen Basiszinssatzes
2.2.2 Risikozuschlag für Investition in Unternehmen
2.2.3 Die Bestimmung des Beta-Faktors
2.3 Besonderheit bei Abzinsung ewiger Rente: der Wachstumsabschlag
2.4 Zusammenfassung und Berechnung des Zinssatzes
3. Schritt 3: weitere Komplikationen – Steuereffekte und Ausschüttungsquote
4. Schritt 4: Bereinigung um nicht betriesbsnotwendiges Vermögen
5. Sorgfältiges Rechnen und trügerische Intuition
IV. Abschlussbemerkungen

I. Einleitung: Rechtliche Relevanz des Unternehmenswertes

Welchen Wert hat ein Unternehmen? Diese Frage stellt sich in vielen Rechtsstreitigkeiten. Da sind etwa Streitigkeiten nach Unternehmenskäufen, in denen der Käufer Mängel des gekauften Unternehmens beklagt und Minderungsansprüche geltend macht. Hier muss der Wert des mangelfreien Unternehmens festgestellt und mit dem Wert des mangelbehafteten Unternehmens verglichen werden, um dann die Auswirkungen auf den Kaufpreis feststellen zu können. Diese oft großvolumigen Rechtsstreitigkeiten werden regelmäßig von Schiedsgerichten entschieden, meist nach Vorlage umfangreicher Gutachten, die das Schiedsgericht verstehen und würdigen muss. In Schiedsverfahren bleiben die schließlich getroffenen Entscheidungen vertraulich und tragen nichts zur Rechtsfortbildung bei. In zwei ökonomisch bedeutsamen Fallgestaltungen werden auch staatliche Gerichte mit der Bestimmung eines „objektiven“ Unternehmenswertes befasst: Übernimmt ein Mehrheitsgesellschafter im Zuge des gesetzlich geregelten Squeeze-outs die Anteile von Minderheitsgesellschaftern, muss er den Minderheitsgesellschaftern mindestens den objektiven Unternehmenswert zahlen. Ähnliches gilt für einen Mehrheitsgesellschafter, der einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit einer Tochtergesellschaft schließt; er muss den Minderheitsgesellschaftern dann mindestens den objektiven Unternehmenswert als gesetzliche Abfindung anbieten, Zug um Zug gegen Übertragung der Aktien. Die entsprechenden Regelungen finden sich in den §§ 305, 327a ff. AktG. In diesen Fällen entbrennt meist heftiger Streit darum, ob die vom Mehrheitsgesellschafter angebotene Zahlung ausreichend hoch ist. Naturgemäß will der Mehrheitsgesellschafter nicht mehr als nötig bezahlen, die Minderheitsgesellschafter wittern daher – bisweilen zu Recht – eine Übervorteilung. In dieser Konstellation hat der Gesetzgeber den Minderheitsgesellschaftern eine Klage erleichtert, indem er ein besonderes Verfahren zur Überprüfung der Angebote eingerichtet hat, das sog. Spruchverfahren. Dort werden die Minderheitsaktionäre faktisch von jedem Kostenrisiko freigestellt. Denn sowohl die Anwaltskosten der klagenden Minderheitsgesellschafter als auch die (oft sehr hohen) Gutachterkosten trägt gem. § 15 Abs. 2 SpruchG das übernehmende Unternehmen. Die Hemmschwelle für das Erheben einer Klage liegt daher niedrig. So verwundert es nicht, dass Auseinandersetzungen um den „richtigen“ Unternehmenswert auch das Spielfeld einer Klageindustrie geworden sind, wobei vielfach das Stichwort „räuberischer Aktionär“ fällt. Gestützt auf nur wenige eigene Aktien wird dort mit jedem nur entfernt denkbaren Argument Klage erhoben, meist in der Hoffnung, dass sich der entnervte Mehrheitsgesellschafter zu einem überhöhten Vergleichsabschluss bereit erklärt. Diese Klageindustrie darf indes nicht den Blick darauf verstellen, dass die Überprüfung des Abfindungsangebots das gute Recht eines jeden Aktionärs ist. Im Ergebnis ist es jedenfalls so, dass zahlreiche Squeeze-outs und Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge von börsennotierten Unternehmen in ein Spruchverfahren einmünden. Dort stellt sich dann zentral die Frage, was das betroffene Unternehmen zum Stichtag objektiv wert war. Dazu ist schon im Vorfeld der Abfindungsangebote ein Gutachten von Sachverständigen eingeholt worden, das im Spruchverfahren von einem gerichtlich bestellten Gutachter überprüft wird. Und dieses Gutachten muss der Jurist verstehen, um am Ende eine Entscheidung zum Unternehmenswert als Anwalt argumentieren oder als Richter fällen zu können.

II. Überblick: Alternativen der Unternehmensbewertung
Einen mathematisch richtigen Weg zur Unternehmenswertbestimmung gibt es nicht. Dafür sind die Vorgänge in einem Unternehmen zu dynamisch. Gleiches gilt für das Marktumfeld, in dem sich das Unternehmen bewegt. Insofern lässt sich der Wert eines Unternehmens nur näherungsweise bestimmen, böse Zungen sagen dazu „schätzen“. Diese Unsicherheiten hindern Wirtschaftsprüfer, Investmentbanken und andere Berater indes nicht, aus der Wertbestimmung eine Art Geheimwissenschaft zu machen, was durch entsprechenden Sprachgebrauch verstärkt wird. Da wimmelt es dann von Begriffen wie Peer Group, DCF-Analyse, Beta-Faktor und CAPM-Bestimmung, die das Grundverständnis einer Bewertung mehr stören als fördern. Es hilft daher, sich zunächst einmal einen Überblick zu verschaffen, wie man sich der Wertbestimmung eines Unternehmens nähern kann.

1. Ableitung des Unternehmenswertes aus der Bilanz
Am einfachsten wäre es, wenn sich der objektive Wert eines Unternehmens aus der Bilanz des Unternehmens ablesen ließe. Dieser Ansatz liegt zunächst durchaus nahe, wird doch auf der Aktivseite der Bilanz das Vermögen des Unternehmens in all seinen Einzelpositionen aufgelistet und bewertet. Zieht man davon die auf der Passivseite ausgewiesenen Verbindlichkeiten des Unternehmens ab, erhält man – vermeintlich – den Nettowert des Unternehmens. Dieses Vorgehen scheint auch deshalb naheliegend, weil nach dem Vorsichtsprinzip in § 252 HGB die Bilanz die Vermögenswerte im Zweifel zu niedrig und die Schulden im Zweifel zu hoch dokumentiert. Alternative Bilanzierungsstandards wie etwa IFRS versprechen eine „true and fair view“-Bewertung in der Bilanz. Gleichwohl vertritt niemand, dass allein die Bilanzanalyse einen zutreffenden Unternehmenswert auswirft. Der Grund dafür liegt darin, dass der Wert eines Unternehmens keinen Zerschlagungswert am Bilanzstichtag darstellt. Der Wert eines Unternehmens besteht nicht in der Addition einzelner Vermögensgegenstände. Er besteht in der Fähigkeit des Unternehmens, zukünftig Gewinne für die Aktionäre zu erwirtschaften. Und diese Fähigkeit hängt vom Zusammenspiel vieler Faktoren ab, die zudem oft gar nicht in der Bilanz dokumentiert sind. Man denke etwa an die brillanten Mitarbeiter eines Unternehmens, den großen Kundenstamm oder eine nicht patentierte Erfindung. Im Regelfall ist der Wert eines Unternehmens daher deutlich höher als der in der Bilanz dokumentierte Eigenkapitalwert  oder gar der Zerschlagungswert.

2. Übernahme des Börsenwertes als Unternehmenswert
Unmittelbar einleuchtend ist es, den Wert eines börsennotierten Unternehmens zu errechnen, indem man den Kurswert am Bewertungsstichtag mit der Zahl der ausgegebenen Aktien multipliziert. Abgestellt wird also schlicht auf den Börsenwert des Unternehmens. Die ökonomische Theorie hinter diesem Bewertungsansatz ist einfach und bestechend: Die Börse ist ein Marktplatz, wo Angebot und Nachfrage in einen Ausgleich gebracht werden und sich so ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.11.2021 10:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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