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Aktuell in der ZIP

US-Sanktionen, Blocking-Verordnung und Vertragskündigung im Spiegel geopolitischer Pflichten der Geschäftsleitung ( Seibt/Denninger, ZIP 2023, 57)

Geopolitische Auseinandersetzungen betreffen nicht mehr nur Staaten und ihre Regierungen, sondern beeinflussen immer intensiver auch den Pflichtenkatalog der Geschäftsleiter von Unternehmen. Insbesondere das Außenwirtschaftsrecht und dabei vor allem sanktionsrechtliche Vorschriften machen Unternehmen regelmäßig zum Adressaten geopolitischer (staatlicher) Interessen. Die Geschäftsleiter werden dabei immer häufiger widerstreitenden Vorgaben und damit Normenkollisionen ausgesetzt, bei denen sie sich nur schwer „richtig“ (im Sinne einer Beachtung aller an sie bzw. das Unternehmen gerichteten Anforderungen) verhalten können. Ein aktuelles Urteil des OLG Hamburg (OLG Hamburg v. 14.10.2022 - 11 U 116/19, ZIP 2023, 81), dem ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH vorangegangen war, veranschaulicht geradezu lehrbuchmäßig einen solchen Konflikt und weitet die für Unternehmen ohnehin schon schwer aufzulösende Konfliktlage weiter aus.

Zugleich Besprechung von OLG Hamburg, Urt. v. 14.10.2022 – 11 U 116/19, ZIP 2023, 81

I. Hintergrund und Kerninhalte der Entscheidung
1. Vorabentscheidung des EuGH
2. Weiterer Vortrag und Entscheidung des OLG Hamburg
II. Einordnung und Bewertung der Entscheidung
1. Prüfung der Gründe einer nicht begründungsbedürftigen Kündigung?
2. Subjektivistische Bestimmung eines Verstoßes – Gesinnungsunrecht als Anknüpfungspunkt der Unwirksamkeit?
3. Vorrang des Genehmigungsverfahrens und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die unternehmerische Freiheit
a) Primat des Genehmigungsverfahrens nach Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO
b) Unverhältnismäßigkeit der drohenden Folgen von Sekundärsanktionen?
III. Einordnung in den Kreis der Geschäftsleiterpflichten
IV. Fazit und Ausblick


I. Hintergrund und Kerninhalte der Entscheidung

Die Entscheidung betrifft die Wirksamkeit einer Kündigung, mit der die Beklagte (ein Tochterunternehmen der Deutsche Telekom AG) einen Vertrag über die Erbringung von Kommunikationsdienstleistungen mit der Klägerin beenden wollte. Die Klägerin ist eine iranische Bank (Bank Melli Iran), deren Kerngeschäft in der Abwicklung des Außenhandels mit dem Iran liegt. Ihre betroffene deutsche Zweigniederlassung (Hamburg) wickelte sämtliche deutschen Kommunikationsstrukturen über den streitgegenständlichen Vertrag mit der Beklagten ab. Nach den zugrunde liegenden AGB bestand ein Recht zur ordentlichen Kündigung, für die es keines Kündigungsgrunds bedurfte.

Nach Aufkündigung des Iran-Abkommens durch die USA 2018 wurde die Klägerin auf die Liste sanktionierter Personen (Specially Designated Nationals and Blocked Person List; „SDN-Liste“) des US-amerikanischen Office of Foreign Assets (OFAC) gesetzt, womit im Rahmen von Sekundärsanktionen auch Personen außerhalb der USA Geschäfte mit der Klägerin verboten wurden. Gegen derartige Sekundärsanktionen, die von der EU für völkerrechtswidrig gehalten werden, richtet sich auf europäischer Ebene die sog. Blocking-VO, nach deren Art. 5 Abs. 1 es untersagt ist, entsprechenden Forderungen oder Verboten aktiv oder durch bewusste Unterlassung nachzukommen. Art. 5 Abs. 2 sieht für Härtefälle ausnahmsweise eine Befreiungsmöglichkeit auf Antrag bei der Kommission vor.

Nachdem am 5.11.2018 weitere US-Sanktionen gegen den Iran in Kraft traten und die Klägerin in den darauffolgenden Tagen auch von dem SWIFT-System suspendiert wurde, kündigte die Beklagte am 16.11.2018 gegenüber der Beklagten (ebenso wie gegenüber weiteren sanktionierten Personen) unter Hinweis auf den erwarteten Zahlungsausfall außerordentlich das gegenständliche Vertragsverhältnis. Die Klägerin erwirkte hiergegen am 28.11.2018 eine einstweilige Verfügung, mit welcher der Beklagten die Erfüllung der laufenden Verträge bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist auferlegt wurde. Mit Schreiben vom 11.12.2018 sprach die Beklagte eine vorsorgliche ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus.

Die auf Fortführung der vereinbarten Leistungen gerichtete erstinstanzliche Klage führte zu einer Verurteilung der Beklagten dahingehend, dass die Leistungen bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu erfüllen seien; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Entscheidend war insoweit, dass nach Auffassung des LG die ordentliche Kündigung (die keiner Angabe von Gründen bedurfte) wirksam war, zumal insbesondere Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB
darstelle. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Berufung zum OLG Hamburg, im Rahmen derer das Gericht ein Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH einleitete.

1. Vorabentscheidung des EuGH
Der EuGH, dessen am 21.12.2021 ergangene Entscheidung im Rahmen dieses Beitrags nur knapp rekapituliert werden soll, gelangte mit Blick auf die Blocking-VO zu folgenden Ergebnissen: Erstens untersage Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO die Befolgung der gelisteten ausländischen Sanktionsgesetze auch dann, wenn die Behörden der entsprechenden Drittländer (noch) keine konkretisierenden Weisungen gegenüber dem Unternehmen erlassen haben („vorauseilender Gehorsam“). Zweitens handele es sich bei Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO um eine Verbotsnorm. Die Vorschrift verwehre es einem Unternehmen zwar nicht, Verträge mit einer in der SDN-Liste aufgeführten Person ohne Angabe von Gründen zu kündigen, jedoch müsse dieses hinreichend nachweisen, dass sein Verhalten nicht auf eine derartige Unterordnung abzielt, wenn die übrigen Indizien darauf hindeuteten. Drittens sei die Blocking-VO im Lichte der Grundrechte-Charta dahin auszulegen, dass bei Fehlen einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO eine Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erfolgen kann, sofern dies nicht ausnahmsweise unverhältnismäßige Auswirkungen auf die kündigende Person hat.

2. Weiterer Vortrag und Entscheidung des OLG Hamburg
Im Anschluss an die EuGH-Entscheidung hat die Beklagte u.a. weiter vorgetragen, die gekündigten Verträge würden gar nicht den im Anhang zur Blocking-VO genannten US-Sanktionen unterfallen, so dass Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO schon rechtlich nicht anwendbar sei. Darüber hinaus wäre eine Unwirksamkeit der Kündigung auch unverhältnismäßig und auf das Verfahren zur Ausnahmegenehmigung nach Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO dürfe nicht abgestellt werden: Der Beklagten, die rund zwei Drittel ihres Konzernumsatzes in den USA erwirtschafte, drohe andernfalls erheblicher wirtschaftlicher Schaden durch Ausschluss vom US-Markt, erhebliche Reputationsschäden, die Untersagung von damals konkret geplanten Transaktionen sowie Geschäftsrisiken in anderen gegenüber dem Iran kritisch eingestellten Ländern.

Das OLG Hamburg entschied gleichwohl, dass nicht nur die außerordentliche, sondern auch die ordentliche Kündigung des gegenständlichen Vertrags unwirksam sei und verurteilte die Beklagte zur Fortsetzung der Leistungen. In Anlehnung an den EuGH führte der Senat zunächst aus, dass es sich bei Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO um ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB handele.

Bemerkenswert sind sodann die Ausführungen, mit denen das OLG Hamburg den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO bejaht: Ob die gegenständlichen Verträge tatsächlich den im Anhang zur Blocking-VO genannten US-Sanktionen unterfielen oder nicht, könne letztlich dahinstehen und es bedürfe insoweit auch keiner Aufklärung des ausländischen Rechts. Für den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO genüge vielmehr schon die rein subjektive Vorstellung der Beklagten, Sanktionsnormen zu genügen, auch wenn diese gar nicht einschlägig seien. Dieses rein „subjektive Verständnis“ ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, verstoße aber gleichwohl nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Bestimmtheitsgebot, weil die Beklagte sich selbst ein verbotswidriges Handeln vorgestellt habe.

Nichts anderes ergebe sich schließlich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten: Die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigungen keinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO gestellt; dies sei erst später (nach dem Urteil des EuGH) geschehen. Die angebliche Beschränkung der unternehmerischen Freiheit sei aber vorrangig in diesem Verfahren durch die Kommission zu prüfen. Auch mögliche Verzögerungen in einem solchen Verfahren und die mangelnde aufschiebende Wirkung des Befreiungsantrags führten zu keinem anderen Ergebnis, da die Beklagte die drohenden wirtschaftlichen Folgen nicht hinreichend dargelegt habe.

II. Einordnung und Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Hamburg greift die durch den EuGH gegebenen Antworten im Ausgangspunkt zutreffend auf, geht mit seiner weiteren Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO und dessen Auswirkungen jedoch nochmals deutlich über die vom EuGH vorgegebenen Linien hinaus. Dies kann im Ergebnis nicht vollständig überzeugen.

1. Prüfung der Gründe einer nicht begründungsbedürftigen Kündigung?
Vor dem Hintergrund des Vorabentscheidungsverfahrens überrascht es zunächst nicht, dass das OLG Hamburg die Vorschrift des Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB eingestuft und auch die Wirksamkeit einer eigentlich nicht begründungsbedürftigen Kündigung von der Beachtung des sekundärrechtlichen „Befolgungsverbots“ abhängig gemacht hat.

Rechtlich kann man diese durch den EuGH vorgezeichnete Auslegung gleichwohl kritisieren. Sowohl das LG Hamburg in der Vorinstanz als auch das OLG Köln in einem nahezu identisch gelagerten Verfahren hatten die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung noch bejaht. Zwar sollen die aus dem sanktionierten Staat stammenden bzw. ihm verbundenen Marktteilnehmer nach dem Verordnungszweck geschützt werden – es leuchtet aber nicht ein, dass sie zusätzlich gegenüber anderen Marktteilnehmern ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.01.2023 09:52
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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